Sonntag, 11. Juni 2017

Thoughts - Ausverkäufe und Auswüchse

Liebe Rum Gemeinde,

im März ging noch ein kollektiver Aufschrei durch die Szene, als ein Rum, seinerzeit war es der The Rum Cask Jamaica Rum 26 YO Hampden 1990, innerhalb von nur drei Tagen ausverkauft war.
Dass das aber nur die vergleichsweise harmlose Spitze eines momentan stetig wachsenden Eisbergs ist, war zwar innerhalb der engeren Rumszene ein offenes Geheimnis, spielte sich insgesamt aber eher konspirativ ab. Neu ist, dass diese Vorgänge die Oberfläche erreichen und derzeit auch für jedermann immer mehr offenbar werden. Denn der Newsletter eines bekannten deutschen Onlineshops zeigte Anfang der Woche, ungewohnt offen, eindrucksvoll und beispielhaft, wie weit die Praktiken vieler Connaisseure und/oder Anleger inzwischen geschritten sind, wenn ein Rum in einem Shop schon ausverkauft ist, noch bevor er das Shopsystem von Innen gesehen hat. *1 

Im Newsletter des Shops heißt es wörtlich:
"Eigentlich sollte das "Highlight" dieses Rum-Angebotes ein 30 Jahre alter Jamaica-Rum aus der Long Pond-Distillery sein...allerdings hat kurz vor Erscheinen dieses Angebotes ein Kunde alle verfügbaren Flaschen davon gekauft (Schöne Grüsse an Herrn H. aus HH)."

Ich möchte das an dieser Stelle nicht werten, das würde auch niemanden weiterbringen, wohl aber möchte ich den Informationswert dieses Vorgangs festhalten. Denn dieser offenbart eben, wie realitätsfern es im Jahr 2017 sein kann, stark limitierte Rums noch bequem auf herkömmliche Weise kaufen zu wollen. Und wie das Beispiel aus dem Newsletter zeigt, passiert das inzwischen auch bei Rums, die eine eher großzügige Limitierung haben (hier waren es 800 Flaschen) und noch dazu sündhaft teuer (~230 Euro für 0,5 Liter) sein können. Das sind alles keine Garantien mehr dafür, dass der Vorrat, auch der eines solchen Rums, einige Zeit vorhält.
Die daraus resultierenden Konsequenzen sind, dass andere Connaisseure nachziehen müssen, ihre Methoden anpassen müssen, wenn, ja wenn sie auch weiterhin an derlei Abfüllungen partizipieren wollen. Denn nur damit wir uns in dieser Frage richtig verstehen: mir gefällt das nicht! Ich überlege immer mehr und noch genauer, wie ich selbst mich innerhalb dieses Systems definiere und wie und wo ich mich positionieren möchte.
Ich bin darüber hinaus nämlich auch nicht der Typ, da kommen wir dann zu einem weiteren der jüngsten Auswüchse der Szene, der große Lust dazu verspürt sich in irgendwelche kilometerlangen Vorbestelllisten für die Rums eines renommierten italienischen unabhängigen Abfüllers mit schwarzen Flaschen einzutragen in der Hoffnung, auf Platz 1374 noch eine Chance auf eine Flasche zu haben, da auch sie die Shops nie erreichen oder wenn, dann nur kurz (und über die nicht mehr nachzuvollziehenden Preise für diese Abfüllungen haben wir da dann ja noch gar nicht gesprochen). Ich kaufe gerne Rum, gerne guten Rum und ich kaufe auch teuren Rum. Und ja, wir reden da von Luxuskonsum. Aber was ist das denn für ein Luxus-Kauferlebnis, bei dem mir als Käufer keinerlei Respekt mehr gezollt wird, bei dem ich als Käufer auch jeden Respekt vor mir selbst verliere und meine Würde an den F5 Button abtrete? Das ist mir in Gänze zuwider und ich kann all jenen, die es da ähnlich halten wie ich nur mit auf den Weg geben: lasst euch nicht irre machen und glaubt bitte bloß nicht, dass ihr in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis steckt! Es gibt auch eine sehr lohnenswerte Rumwelt jenseits von Genua. Vielleicht nicht immer in schwarzen Flaschen, aber es gibt sie. Man muss sich nur frei davon machen können, dem Prestige zu erliegen, die Rums haben zu wollen, für die alle Welt momentan bereit zu sein scheint, so viel Kohle zu zahlen. Der Kopf kann und soll manchmal bei einigen schönen und besonderen Abfüllungen auch mittrinken. Ohne wäre es langweilig! Aber ab und zu darf man den auch gefahrlos dazu benutzen, rational zu hinterfragen, Verhältnisse abzuwägen, sich selbst in Bezug zu seiner Umwelt zu setzen und über den Tellerrand zu blicken. Gier frisst Hirn, heißt es oft. Und das stimmt auch... oft. In diesem Sinne: bleibt kritisch, genießt wo ihr könnt und lasst es auch bleiben, wo ihr es nicht mehr könnt. Dann läuft der Rest von ganz alleine.

Habt einen schönen Restsonntag, eine zufriedene und erfolgreiche Woche und demnächst ist dann hier auch wieder ein schöner Rum am Start.

Bis dahin,
Flo

*1 Wie mir glaubhaft dargelegt wurde, schaffte es der im zitierten Newsletter betreffende Rum doch bis ins Shopsystem (wenn auch nur sehr, sehr kurz) des betreffenden Shops. Demnach ist die Darstellung im Newsletter in diesem konkreten Detail nicht zutreffend. Unberührt davon bleibt jedoch natürlich die Hauptaussage des Textes, dass es für den gewünschten Rum bereits zu spät sein kann, wenn man nach Erhalt des Newsletters den Shop aufsucht.