Mittwoch, 31. Oktober 2018

Velier 15 YO TECA Long Pond 2003

Liebe Rum Gemeinde,

heute kommt dann selbstverständlich auch die letzte der vier neuen Jamaica Rum-Abfüllungen von Velier zur Verkostung, welche alle von National Rums of Jamaica Ltd. stammen und in der Long Pond Distillery gebrannt wurden: es ist der älteste der vier Rums, der 15 YO Long Pond TECA 2003!



All jene, die die bisherigen Reviews zu den anderen drei Long Ponds in den letzten Wochen verfolgt haben, also die des Cambridge 2005, die des Vale Royal 2006 und jene des Long Pond TECC 2007, für die sind die diversen neuen Begriffe, die die Long Ponds mit sich gebracht haben inzwischen bekannt und werden sich nun vermutlich etwas langweilen, beziehungsweise eventuell einfach direkt bis zur Verkostung runterscrollen. Wer aber heute neu einsteigt und noch keines der Reviews gelesen hat und für wen Begriffe, wie National Rums of Jamaica Ltd., Long Pond, Tilston Estate oder TECA noch echte Fremdwörter sind, für den beginne ich auch heute nochmals mit einem kurzen, komprimierten Ausflug nach Guyana zum Demerara Rum, um anhand dessen das Geflecht rund um National Rums of Jamaica Ltd. aufzuschlüsseln und dazu der Einfachheit halber, auch wenn das sonst nicht meine Art ist, die Absätze zu diesem Thema aus den bisherigen Reviews nahezu 1:1 übernehmen.


Zum Einstieg:

Im Grunde genommen muss man sich das ganze Konstrukt nämlich ähnlich vorstellen wie beim Demerara Rum, dessen Geschichte ebenfalls verworren, inzwischen allerdings weit fortgeschrittener dokumentiert ist und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, in erster Linie durch eine umfassende Arbeit von Marco Freyer. Zusammengefasst: beim Demerara Rum haben wir mit Demerara Distillers Ltd. (DDL) eine übergeordnete Firma und mit Diamond eine Destillerie, die dieser Firma gehört. Diese Destillerie stellt den Rum von Diamond her, allerdings auch viele andere Rum Stile von Brennereien aus Guyana, die ihre Tore längst geschlossen haben, teilweise schon seit Jahrzehnten. Dazu zählen z.B. Enmore, Port Mourant, Uitvlugt, Versailles, Albion, Skeldon oder La Bonne Intention. Dies tut Diamond, indem es, teilweise mit den alten und erhaltenen Destillierapparaten der geschlossenen Destillerien, deren Stile (genauer bezeichnet durch ein so genanntes Mark) weiter produziert. So gibt es auch heute noch beispielsweise Port Mourant Rum (Mark: PM), obwohl die Destillerie Port Mourant schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert. Aber die Double Wooden Pot Still aus Port Mourant, die ist noch immer erhalten und produziert in der Destillerie Diamond weiter u.a. das Mark PM. Die Destillierapparate vieler anderer ehemaliger Destillerien sind heute längst verschrottet, aber teilweise ist es möglich, auch deren alte Stile durch die noch existierenden Apparate anderer Destillerien quasi nachzuahmen. Dies gilt z.B. für Albion. Da war man bei jeder neuerlichen Schließung einer Brennerei und damit verbundener Umzüge in andere Brennereien leider sehr pragmatisch. 
Was bedeutet das nun für unseren heutigen Rum oder die vier neuen Rums von Velier im Allgemeinen? Nun, wir haben mit National Rums of Jamaica Ltd. (NRJ) erneut eine übergeordnete Holding, die nicht selbst Rum herstellt, sondern, unter deren Dach verschiedene Destillerien Rum herstellen. NRJ hat sich im Jahr 2006 gegründet und bildet einen Zusammenschluss der drei Destillerien Clarendon (Monymusk), Long Pond und Innswood, von denen Innswood aber schon seit 1996 nicht mehr aktiv ist und Long Pond zwischenzeitlich nicht mehr aktiv war, seit 2017 aber wieder ist. NRJ gehört zu je einem Drittel dem Staat Jamaica in Form der National Sugar Company, der West Indies Rum Distillery auf Barbados (gehört inzwischen wiederum Ferrand in Frankreich) und DDL in Guyana. 
Innswood und Clarendon sind jeweils vergleichbar junge Destillerien, die erst um die Mitte des 20. Jahrhundert herum ihren Betrieb aufnahmen. Die Geschichte Innswoods war eine recht kurze, denn man produzierte nur von 1959 bis 1992 Rum. Danach wurden hier nur noch die Räumlichkeiten genutzt, z.B. für die Lagerung und das Blending der Rums.[1] Die Geschichte Clarendons beginnt entweder im Jahr 1938 oder 1949. Hier wird bis heute Rum produziert, u.a. auch der Rum, den wir als Monymusk kennen und der auf das Monymusk Estate zurückgeht, dessen Historie wiederum schon über 200 Jahre zurückreicht. Clarendon gehört allerdings nur zu 73% zu NRJ. Die restlichen 27% gehören Diageo, dem weltgrößten Spirituosen-Konglomerat, was wiederum dazu führt, dass ca. 90% des gesamten Outputs von Clarendon an Diageo gehen.[2] Die dritte der Destillerien im Bunde ist die im Parish Trelawny gelegene Long Pond Distillery, und nun wird es spannend. Nicht nur, weil die Geschichte Long Ponds wesentlich länger und geschichtsträchtiger ist und bereits im Jahr 1753 beginnt, als die Familie Reid die Destillerie und ihr Anwesen begründeten[3], sondern vor allem deshalb, weil Long Pond quasi das jamaikanische Äquivalent zur Diamond Destillerie in Guyana ist. Wie Diamond in Guyana, so hat auch Long Pond auf Jamaica im Laufe der Jahrzehnte (und vielleicht sogar Jahrhunderte) immer wieder verschiedene Destillerien oder aber zumindest ihre Destillierapparate oder auch nur deren Stile übernommen und stellt deshalb heute sehr viele verschiedene Rums her, die auch bei Long Ponds durch die so genannten Marks unterschieden werden. Zwar kennt Jamaica Rum bereits im Grundsatz eine Einteilung seiner Rums in vier verschiedene Stile, die sich am Estergehalt der Rums richten, allerdings unterscheidet da auch jede Destillerie auch noch einmal für sich selbst. Die vier allgemeinen Jamaica Stile sind:

Jamaican Ester Mark:Ester (gr/hlpa)
Common Clean80-150
Plummer150-200
Wedderburn200-300
Continental Flavoured700-1600



Long Pond unterscheidet seine Stile nicht nur in vier verschiedene Stile, sondern in insgesamt zwölf! Diese wiederum können dann, meist, einem der vier übergeordneten Jamaica Stiele zugeordnet werden, wobei Long Pond auch Marks führt, die einen Estergehalt aufweisen sollen, welcher keinem der vier Stile zuzurechnen ist. Das trifft unter anderem auf CRV und CQV zu, aber auch auf LPS und  STC🖤E.
Der Rum über den wir heute sprechen trägt das Mark TECA, welches in seiner Bedeutung leider nicht sicher entschlüsselt ist.

Long Pond MarkEster Level (gr/hlpa)
CRV0-20
CQV20-50
LRM50-90
ITP/LSO90-120
HJC/LIB120-150
IRW/VRW150-250
HHHS/OCLP250-400
LPS400-550
STC🖤E550-700
TECA1200-1300
TECB1300-1400
TECC1500-1600


Long Pond / Tilston:

In den letzten Wochen habe ich mit dem  13 YO Cambridge bzw. dem 12 YO Vale Royal bereits zwei Rums vorgestellt, deren Stile definitiv jeweils aus einer verlorenen Destillerie stammen, sowie mit dem TECC auch einen Rum, welcher zwar nominell aus Long Pond stammt, also einer aktiven Brennerei, bei dem jedoch der Verdacht besteht, dass auch er im Stile einer geschlossenen Destillerie daherkommt. Denn Luca Gargano vermutet, dass TE jeweils für Tilston Estate steht, eine weitere ehemalige Brennerei Jamaicas, die schon bereits im 18. Jahrhundert existierte[4]. Für den Rum um den es heute geht, den TECA, gilt das selbe. Da sich die Historien der beiden Rums, TECA und TECC, auf Grund der Verwandtschaft der beiden Marks gleichen, übernehme ich den Part aus der TECC-Review an dieser Stelle und passe ihn lediglich dort wo es nötig ist an den heutigen Rum an. Das betrifft vor allem den letzten Abschnitt, bevor die Verkostung startet.

Also der Reihe nach und zunächst zu Long Pond: dessen Geschichte beginnt, wie bereits oben kurz erwähnt, im Jahr 1753 mit der Familie Reid. Ein John Reid Senior ist bis zu seinem Tod im Jahr 1777[5] vom UCL als Besitzer von Long Pond vermerkt. Bis ins Jahr 1803 scheint die Destillerie dann von einer Erbengemeinschaft geführt worden zu sein, bevor ein Sir Simon Haughton Clarke 9th Bart. das Estate bis zu seinem Tod 1832 übernahm[6][7]. Für die Jahre zwischen 1809 und 1832 ist auf Long Pond die Haltung von Sklaven dokumentiert. Jährlich waren es zwischen 209 und 368 Sklaven[8]. Spätestens im Jahr 1838 war die Sklaverei auf Jamaica allerdings vollständig abgeschafft und anders als viele andere Zuckerfabriken der Insel überlebte Long Pond die sich daraus ergebende Krise in Form eines massiven Rückgangs der Produktion und damit der existierenden Sugar Estates. Für das Jahr 1878 ist dann erstmals der Besitz durch J.B. Sheriff dokumentiert[9]. Dessen Firma, die J.B. Sheriff & Company Limited, führte Long Pond bis ins Jahr 1953 und übernahm in dieser Zeit einige andere Sugar Estates und Destillerien auf Jamaica. Darunter befinden sich bis 1921, laut Cyril, Parnassus, Hyde Hall, Steelfield und Etingdon, sowie um 1945 Cambridge, Linton Park, Belmont, Lottery und Water Valley und 1949 schließlich Kinloss[10]. Schaut man sich die Besitzverhältnisse der einzelnen Estates auf Jamaican Family Search an, z.B. für die Jahre 18781891 oder 1910, so lässt sich erkennen, dass die Estates im Laufe der Jahrzehnte immer wieder die Besitzer wechseln und vor allem, dass die Estates zunehmend im Besitz der selben Menschen sind. So erkennt man beispielsweise immer wieder Parallelen zwischen Cambridge und Steelfield.
Im Jahr 1953 kaufte das kanadische multinationale Konglomerat Seagram Ltd. Long Pond von der J.B. Sheriff & Company Limited[11]. Seagrams hatte bereits seit 1944 mit Captain Morgan eine eigene Rum Marke am Start und brauchte für diesen nun dringend Kapazitäten. Im Jahr 1955 kaufte Long Pond das benachbarte Vale Royal, welches wiederum vier Jahre später seine Tore schloss und in Long Pond weiterlebte. Mit Vale Royal gemeinsam wurde aus Long Pond Estates dann Trelawny Estates[12]. Der nächste einschneidende Schritt erfolgte im November 1977, als Trelawny Estates von der jamaicanischen Regierung, der Inselstaat war seit 1962 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen worden, verstaatlicht wurde. Es folgte mit dem neuen Namen "The National Sugar Company of Long Pond Limited" wiederum eine Umbenennung[13]. Im Jahr 1993 verkaufte die Regierung Jamaicas Long Pond dann an mehrere Finanzgruppen[14], bevor es 2006 in National Rums of Jamaica Ltd. (NRJ) eingegliedert wurde, an der die National Sugar Company wiederum zu einem Drittel beteiligt war[15]. 2009 kaufte die Familie Hussey (Everglade Farms), denen auch das nahegelegene Hampden Estate gehört, die Zuckerfabrik Long Pond, während die Destillerie Long Pond weiter unter dem Dach von NRJ firmiert. Zwischen 2012 und 2017 wurde in Long Pond wegen diverser Probleme kein Rum produziert, doch inzwischen ist die Produktion wieder aufgenommen[16].
In Long Pond existieren ganz sicher noch fünf John Dore bzw. Vendome Pot Stills, von denen vier 13.200 Liter fassen, und eine, die 5.600 Liter fasst[17], sowie mindestens eine Column Still[18]. Ob, und wenn ja, wieviele und welche von ihnen unter Umständen auch aus früheren Destillerien wie Cambridge oder Vale Royal stammen ist derzeit aber leider noch vollkommen unklar. Auf den Bildern von Cyril und Matt ist aber deutlich zu erkennen, dass einige der Stills schon sehr, sehr alt sein dürften. Hier erhoffe ich mir in den nächsten Jahren und mit zunehmender Aufmerksamkeit für die Destillerie Long Pond noch weitere Erkenntnisse.

Tilston: über Tilston Estate (vereinzelt auch Tilestone oder Tileston) ist leider nur sehr wenig bekannt. Sicher wissen wir, dass Tilston schon bereits im 18. Jahrhundert existierte und in dieser Zeit, bis ins 19. Jahrhundert hinein, von der Familie Simpson geführt wurde: zunächst von John Simpson of Bounty Hall (Senior; ✝1785) und später von John Simpson of Fair Lawn Kent (Junior; ✝1847)[19]. Letzterer erbte auch Vale Royal von Thomas Pepper Thompson[20]. Später war Tilston dann im Besitz einer gewissen Miss A. M. Jarrett[21][22], bevor als Besitzer im Jahr 1910 schließlich ein uns wohl bekannter Mann genannt wird, nämlich Dermot Owen Kelly-Lawson[23], dem auch Hampden gehörte. Anschließend verliert sich die Spur leider und auch eine Angabe über eine Schließung konnte ich nicht finden. Somit wäre aus meiner Sicht naheliegender, dass Tilston vielleicht ein Teil der Geschichte Hampdens ist, allerdings weist die Geschichte der beiden Destillerien Hampden und Long Pond auch immer wieder Parallelen auf, so dass nicht auszuschließen ist, dass Tilston auch irgendwann noch an Long Pond ging. Wer weiß, vielleicht erfahren wir ja auch hier in den nächsten Jahren noch mehr.



Anders als bei Cambridge und Vale Royal kann ich also auf die Bedeutung der Marks TECA und TECC, nicht wirklich näher eingehen, mit Ausnahme des für das Mark definierten Estergehalts von 1200 - 1300 gr/hlpa. TE könnte, wie gesagt, für Tilston Estate stehen, aber das ist eben mehr als unklar. Für mich ist das Mark insofern etwas besonders, als dass wir zwar schon unzählige Long Ponds aus diversen Jahrgängen, bis zurück in die 1940er Jahre, probieren durften, jedoch mit dem TECC erst einen Rum aus Long Pond bekamen, der einen Estergehalt im Bereich 1000 gr/hlpa und mehr hatte. Bis zum Erscheinen der vier Veliers war der LPS (Long Pond Special) von Rum Albrecht mit 400 - 550 gr/hlpa in dieser Hinsicht das Maximum. Der jetzt erschienene Cambridge lag mit 550 - 700 gr/hlpa erstmals knapp darüber und der TECC knackte diese Marke sogar deutlich.  Nun kommt zum Abschluss der vier also der TECA und auch damit sind bei mir neuerlich Erwartungen verbunden. Beim TECC war es der DOK als Referenz, beim TECA ist es nun eher das Mark C<>H von Hampden, welches man da im Hinterkopf hat - mein Lieblings-Mark von Hampden! Bisher sahen wir, dass die Ester bei Long Pond in eine gänzlich andere Richtung gehen als bei Hampden. Letztere sind mit seinem Style da schon sehr, sehr unique, genau wie eben auch Long Pond. Wie also kommt der TECA? Ich bin gespannt und daher geht es nun auch direkt an die Verkostung! Viel Spaß!


Verkostung des Velier 15 YO Long Pond 2003:

Preis: für eine Flasche TECA werden in Italien ca. 165,- Euro aufgerufen. Dementsprechend ist er der teuerste der vier Long Ponds. 

Alter: der Rum reifte 15 Jahre lang, von Dezember 2003 bis April 2018, in Eichenholzfässern.

Lagerung: die Fässer lagen während der gesamten Reifezeit über in tropischem Klima auf Jamaica.

Fassnummern: unbekannt. Es wurden 9 Fässer verwendet und 2484 Flaschen abgefüllt. Damit hat dieser Long Pond auch die geringste Auflage aller vier Bottlings.

Angel's Share: >67% gingen an glückliche Engel. 

Alkoholstärke: der Rum hat einen Alkoholgehalt von 63% vol.

Destillationsverfahren: Double Retort Pot Still.

Mark: TECA (maybe Tilston Estate CA)

Farbe: Kupfer, leuchtendes Mahagony.  

Viskosität: ein eher dünner Film setzt sich an der Glaswand ab und hinterlässt dann größere Tropfen, die sich zu zäh fließenden, wiederum eher dünnen Schlieren entwickeln.

Nase: Wuuhh?! Was ist das denn?! Den Rum erkenne ich im ersten Moment weder als Long Pond, noch überhaupt als einen Jamaicaner. Die Ester stechen natürlich deutlich heraus und auch ein hoher Alkoholgehalt macht sich bemerkbar, aber das läuft hier mal so ganz anders, als ich das sonst von Hampden, New Yarmouth oder auch aus Long Pond selbst so gewohnt bin.
Die Nase ist weniger voll und reichhaltig, als ich das bei einem 15 Jahre alten tropisch gereiften Rum mit solch exorbitant hohem Estergehalt erwarten würde. Im Bouquet finde ich eine sehr dominante Kombination aus Nagellackentferner, Klebstoff, Rauch, Holz, Pistazie, Schweiß und Zitrusfrüchten, die nach hinten heraus noch eine gute Portion Marzipan mitnimmt. Das ist schon sehr einzigartig und ich hätte fast sogar gesagt eigenartig oder gar abartig, denn das habe ich so zuvor noch nirgends in einem Rum gefunden. Ganz abgefahren. Ich bin mir an dieser Stelle auch noch alles andere als sicher, ob ich das gut finde. Eines aber kann ich schon mal sagen: ich glaube, den würde ich wiedererkennen! Darüber hinaus finde ich auch noch Nüsse, ganz weit hinten auch noch etwas gegrillte Ananas und eine leichte, trockene Holznote. Das Mark TECA entspricht in seinem Estergehalt in etwa dem Mark C<>H bei Hampden, aber die Ester kommen hier vollkommen anders. Viel trockener, viel weniger fruchtig und auch weniger sauer.

Gaumen: am Gaumen zeigt sich der Rum ähnlich wie in der Nase: vollkommen untypisch! Zunächst einmal habe ich eine kurze aber deutliche alkoholische Schärfe auf der Zunge, die mit einer feinen Süße einher geht. Dahinter folgt dann aber auch schon die bereits in der Nase so auffällige Kombination aus Nagellackentferner, Klebstoff, Holz, Rauch, Pistazie, Schweiß, Zitrusfrüchten und Marzipan. Für einen Rum mit derart hohem Estergehalt ist er erstaunlich wenig adstringent. Jamaica im Allgemeinen ist am Gaumen dann um einiges präsenter als noch in der Nase. Long Pond im Speziellen hingegen suche ich auch hier vergebens. Nach hinten hinaus zeigt sich dann die verhältnismäßig lange tropische Lagerzeit, denn nun kommen deutliche und dominante, bittere Holzaromen vom Fass vollends durch, sowie etwas Zimt. Der TECA mag zwar so ein wenig das Gegenstück zu C<>H bei Hampden sein, aber die Ester funktionieren hier vollkommen anders. 

Abgang: die Holzaromen setzen sich im Abgang fort. Bitter und trocken werdend. Anis. Pistazie. Sehr, sehr lange anhaltend. Auch nach zwei Stunden ist der Rum am Gaumen noch präsent!

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Fazit: ein Rum, von dem ich noch immer nicht so richtig weiß, was ich von ihm halten soll. Da ist schon Potenzial, auf der einen Seite, aber auf der anderen ist mir das vermutlich doch fast schon ein wenig zu speziell. Ich könnte mir vorstellen, dass die Abartigkeit, die der Rum hat, sich nach einer Zeit ins Gegenteil verkehrt und man den Rum unerwartet zu schätzen lernt. Das habe ich schon ein paar Mal bei derart speziellen Rums erlebt. Aber momentan sieht es danach bei mir noch nicht aus. Die größte Stärke des TECA besteht ganz sicher in seinem Finish. Das gefällt mir definitiv, und zwar umso besser, je länger es anhält. In der Nase und am Gaumen hingegen hat der Rum eine Eigennote, die mir nicht gefällt. Der Rum hat mich auf diese Weise leider schon fast verloren, noch bevor er mit seinem Finish trumpfen und damit zumindest ein klein wenig Boden wieder gut machen konnte. Das ist schade. Letztlich, und da muss ich ehrlich sein, scheitert der Rum bei mir aber auch ein Stück weit an den hohen Erwartungen, die ich als Fan von C<>H an ihn hatte, was wiederum ungerecht ist, da er diesen Anspruch an sich selbst niemals gestellt hat. Insofern ist das einfach ein persönliches Ding von mir. Ob die dominante und von mir als unangenehm empfundene Eigennote von einer zu langen Lagerung kommt oder tatsächlich im Stil TECA begründet liegt, kann ich bisher noch schwer nachvollziehen, da mir auf Grund der Einzigartigkeit der Abfüllung jeder Vergleich fehlt. Ich halte beides für denkbar, vermute allerdings eher den Stil als Ursache. Die Vermutung Luca Garganos, wonach die Marks TECA, TECB und TECC durchaus auch für das ehemalige Tilston Estate stehen könnten, erhält für mich durch das absolut Long Pond untypische und eigene dieses Rums hingegen weitere Nahrung! Der TECC ging ja letztlich in eine ähnliche Richtung, hatte allerdings einen wesentlich geringeren Anteil dieser Note. Das ist schon sehr weit weg von allem, was man bis dahin aus Long Pond kannte. Daher: möglich ist das auf jeden Fall!



Eine Empfehlung freilich kann ich heute nur schwer bis gar nicht aussprechen, da mir der Rum über weite Strecken persönlich nicht unbedingt zugesagt hat, unabhängig davon, wie viel er gekostet hat. Was ich aber jedem empfehlen würde ist, diesen Rum zu probieren! Denn auch wenn sich nach meinem Eindruck beim TECA schon eine Tendenz dazu abgezeichnet hat, dass der Rum eher nicht so gut ankommt, so habe ich doch auch vereinzelt Stimmen aufgenommen, denen der Rum zugesagt hat. Von einem handwerklich schlechten Produkt kann also keine Rede sein. Man muss nur die sehr dominante Eigennote mögen, allerdings halte ich diese, gerade im Vergleich zu den drei anderen Bottlings, für kaum konsensfähig. Es hilft also, wie so oft, nur, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und dazu möchte ich jeden meiner Leser auch grundsätzlich animieren.

Ein umfassendes, abschließendes Fazit aller vier Abfüllungen ist zu einem späteren Zeitpunkt geplant. Darin einbezogen werden dann auch die zwei neuen 22 YO Plantation Extreme Abfüllungen, ITP und HJC, die hier noch gesondert vorgestellt werden, sowie der bereits vor vielen Jahren besprochene 17 YO LPS von Rum Albrecht, die alle drei jeweils ebenfalls tropisch gereift wurden. Somit ist ein echter Vergleich vieler verschiedener Long Pond Marks erstmals möglich und das möchte ich gerne nutzen. Vielleicht in aller Kürze kann ich vorab aber schon mal verraten, dass ich alle vier Abfüllungen sehr spannend und drei von ihnen, nämlich den Cambridge, den Vale Royal und den TECC, auch sehr empfehlenswert finde. Sie überzeugen jeweils sehr individuell in ihrer Eigenheit und ich empfinde es als sehr schwierig, unter den dreien einen echten Favoriten zu nennen. Müsste ich mich festlegen, wäre es wohl der Vale Royal. Oder doch der Cambridge? An manchen Tagen wohl aber auch sicher der TECC... ihr seht... ;-) Die sind alle drei Top, aus meiner Sicht!
An Luca Gargano geht an dieser Stelle natürlich sowohl der Dank dafür, das möglich gemacht zu haben, als auch die Bitte am Ball zu bleiben und Rums aus Long Pond weiter zu verfolgen. Ich wäre sehr gespannt darauf, welche unbekannten Stile diese altehrwürdige Destillerie noch zu bieten hat!

Ohne Punkte-Wertung


Und ein weiteres großes Dankeschön geht auch heute noch einmal an den Freddy, durch dessen Teilung und Einsatz ich vorab alle Rums probieren konnte. Vielen Dank!


Bis demnächst,
Flo

Sonntag, 28. Oktober 2018

Velier 11 YO TECC Long Pond 2007

Liebe Rum Gemeinde,

heute fahre ich mit der dritten der vier neuen Jamaica Rum-Abfüllungen von Velier fort, welche alle von National Rums of Jamaica Ltd. stammen und in der Long Pond Distillery gebrannt wurden: ins Glas kommt der jüngste der vier, der 11 YO Long Pond TECC 2007!



Wer meine Reviews zum Cambridge 2005 und zum Vale Royal 2006 in den letzten Wochen verfolgt hat, der weiß bereits, dass unsere kleine Rum-Welt um einige Fachtermini gewachsen ist, die ich auch schon so gut es mir möglich war zu enträtseln begann. Für all jene, die die Reviews nicht gelesen haben, aber auch für jene, die zum besseren Verständnis vielleicht nochmal alles nachlesen möchten, werde ich die Review, wie schon bei meinen Verkostungen zum Cambridge und zum Vale Royal, mit einem kurzen, komprimierten Ausflug nach Guyana zum Demerara Rum beginnen, um anhand dessen das Geflecht rund um National Rums of Jamaica Ltd. und die Marks aus Long Pond aufzuschlüsseln und dazu der Einfachheit halber, auch wenn das sonst nicht meine Art ist, die Absätze zu diesem Thema aus der Cambridge Review nahezu 1:1 übernehmen. Wer da schon firm ist, der kann das überspringen und direkt beim nächsten Abschnitt einsteigen. Anschließend nämlich habe ich dann die Geschichte Long Ponds, und in kurzen Abrissen auch Tilstons, für euch zusammengefasst, die für die allermeisten eher neu sein dürfte.


Zum Einstieg:

Im Grunde genommen muss man sich das ganze Konstrukt nämlich ähnlich vorstellen wie beim Demerara Rum, dessen Geschichte ebenfalls verworren, inzwischen allerdings weit fortgeschrittener dokumentiert ist und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, in erster Linie durch eine umfassende Arbeit von Marco Freyer. Zusammengefasst: beim Demerara Rum haben wir mit Demerara Distillers Ltd. (DDL) eine übergeordnete Firma und mit Diamond eine Destillerie, die dieser Firma gehört. Diese Destillerie stellt den Rum von Diamond her, allerdings auch viele andere Rum Stile von Brennereien aus Guyana, die ihre Tore längst geschlossen haben, teilweise schon seit Jahrzehnten. Dazu zählen z.B. Enmore, Port Mourant, Uitvlugt, Versailles, Albion, Skeldon oder La Bonne Intention. Dies tut Diamond, indem es, teilweise mit den alten und erhaltenen Destillierapparaten der geschlossenen Destillerien, deren Stile (genauer bezeichnet durch ein so genanntes Mark) weiter produziert. So gibt es auch heute noch beispielsweise Port Mourant Rum (Mark: PM), obwohl die Destillerie Port Mourant schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert. Aber die Double Wooden Pot Still aus Port Mourant, die ist noch immer erhalten und produziert in der Destillerie Diamond weiter u.a. das Mark PM. Die Destillierapparate vieler anderer ehemaliger Destillerien sind heute längst verschrottet, aber teilweise ist es möglich, auch deren alte Stile durch die noch existierenden Apparate anderer Destillerien quasi nachzuahmen. Dies gilt z.B. für Albion. Da war man bei jeder neuerlichen Schließung einer Brennerei und damit verbundener Umzüge in andere Brennereien leider sehr pragmatisch. 
Was bedeutet das nun für unseren heutigen Rum oder die vier neuen Rums von Velier im Allgemeinen? Nun, wir haben mit National Rums of Jamaica Ltd. (NRJ) erneut eine übergeordnete Holding, die nicht selbst Rum herstellt, sondern, unter deren Dach verschiedene Destillerien Rum herstellen. NRJ hat sich im Jahr 2006 gegründet und bildet einen Zusammenschluss der drei Destillerien Clarendon (Monymusk), Long Pond und Innswood, von denen Innswood aber schon seit 1996 nicht mehr aktiv ist und Long Pond zwischenzeitlich nicht mehr aktiv war, seit 2017 aber wieder ist. NRJ gehört zu je einem Drittel dem Staat Jamaica in Form der National Sugar Company, der West Indies Rum Distillery auf Barbados (gehört inzwischen wiederum Ferrand in Frankreich) und DDL in Guyana. 
Innswood und Clarendon sind jeweils vergleichbar junge Destillerien, die erst um die Mitte des 20. Jahrhundert herum ihren Betrieb aufnahmen. Die Geschichte Innswoods war eine recht kurze, denn man produzierte nur von 1959 bis 1992 Rum. Danach wurden hier nur noch die Räumlichkeiten genutzt, z.B. für die Lagerung und das Blending der Rums.[1] Die Geschichte Clarendons beginnt entweder im Jahr 1938 oder 1949. Hier wird bis heute Rum produziert, u.a. auch der Rum, den wir als Monymusk kennen und der auf das Monymusk Estate zurückgeht, dessen Historie wiederum schon über 200 Jahre zurückreicht. Clarendon gehört allerdings nur zu 73% zu NRJ. Die restlichen 27% gehören Diageo, dem weltgrößten Spirituosen-Konglomerat, was wiederum dazu führt, dass ca. 90% des gesamten Outputs von Clarendon an Diageo gehen.[2] Die dritte der Destillerien im Bunde ist die im Parish Trelawny gelegene Long Pond Distillery, und nun wird es spannend. Nicht nur, weil die Geschichte Long Ponds wesentlich länger und geschichtsträchtiger ist und bereits im Jahr 1753 beginnt, als die Familie Reid die Destillerie und ihr Anwesen begründeten[3], sondern vor allem deshalb, weil Long Pond quasi das jamaikanische Äquivalent zur Diamond Destillerie in Guyana ist. Wie Diamond in Guyana, so hat auch Long Pond auf Jamaica im Laufe der Jahrzehnte (und vielleicht sogar Jahrhunderte) immer wieder verschiedene Destillerien oder aber zumindest ihre Destillierapparate oder auch nur deren Stile übernommen und stellt deshalb heute sehr viele verschiedene Rums her, die auch bei Long Ponds durch die so genannten Marks unterschieden werden. Zwar kennt Jamaica Rum bereits im Grundsatz eine Einteilung seiner Rums in vier verschiedene Stile, die sich am Estergehalt der Rums richten, allerdings unterscheidet da auch jede Destillerie auch noch einmal für sich selbst. Die vier allgemeinen Jamaica Stile sind:

Jamaican Ester Mark:Ester (gr/hlpa)
Common Clean80-150
Plummer150-200
Wedderburn200-300
Continental Flavoured700-1600



Long Pond unterscheidet seine Stile nicht nur in vier verschiedene Stile, sondern in insgesamt zwölf! Diese wiederum können dann, meist, einem der vier übergeordneten Jamaica Stiele zugeordnet werden, wobei Long Pond auch Marks führt, die einen Estergehalt aufweisen sollen, welcher keinem der vier Stile zuzurechnen ist. Das trifft unter anderem auf CRV und CQV zu, aber auch auf LPS und  STC🖤E.
Der Rum über den wir heute sprechen trägt das Mark TECC, welches in seiner Bedeutung leidernicht sicher entschlüsselt ist.

Long Pond MarkEster Level (gr/hlpa)
CRV0-20
CQV20-50
LRM50-90
ITP/LSO90-120
HJC/LIB120-150
IRW/VRW150-250
HHHS/OCLP250-400
LPS400-550
STC🖤E550-700
TECA1200-1300
TECB1300-1400
TECC1500-1600


Long Pond / Tilston:

In den letzten Wochen habe ich mit dem  13 YO Cambridge bzw. dem 12 YO Vale Royal bereits zwei Rums vorgestellt, deren Stile definitiv jeweils aus einer verlorenen Destillerie stammen. Heute kommt mit dem TECC Long Pond dem Label nach eine noch aktive Brennerei direkt ins Spiel, wobei auch hier nicht ganz klar zu sein scheint, ob es sich bei den Marks TECA bis TECC wirklich auch um ursprüngliche Marks von Long Pond handelt. Denn Luca Gargano vermutet, dass TE jeweils für Tilston Estate steht, eine weitere ehemalige Brennerei Jamaicas, die schon bereits im 18. Jahrhundert existierte[4].

Doch der Reihe nach und zunächst zu Long Pond: dessen Geschichte beginnt, wie bereits oben kurz erwähnt, im Jahr 1753 mit der Familie Reid. Ein John Reid Senior ist bis zu seinem Tod im Jahr 1777[5] vom UCL als Besitzer von Long Pond vermerkt. Bis ins Jahr 1803 scheint die Destillerie dann von einer Erbengemeinschaft geführt worden zu sein, bevor ein Sir Simon Haughton Clarke 9th Bart. das Estate bis zu seinem Tod 1832 übernahm[6][7]. Für die Jahre zwischen 1809 und 1832 ist auf Long Pond die Haltung von Sklaven dokumentiert. Jährlich waren es zwischen 209 und 368 Sklaven[8]. Spätestens im Jahr 1838 war die Sklaverei auf Jamaica allerdings vollständig abgeschafft und anders als viele andere Zuckerfabriken der Insel überlebte Long Pond die sich daraus ergebende Krise in Form eines massiven Rückgangs der Produktion und damit der existierenden Sugar Estates. Für das Jahr 1878 ist dann erstmals der Besitz durch J.B. Sheriff dokumentiert[9]. Dessen Firma, die J.B. Sheriff & Company Limited, führte Long Pond bis ins Jahr 1953 und übernahm in dieser Zeit einige andere Sugar Estates und Destillerien auf Jamaica. Darunter befinden sich bis 1921, laut Cyril, Parnassus, Hyde Hall, Steelfield und Etingdon, sowie um 1945 Cambridge, Linton Park, Belmont, Lottery und Water Valley und 1949 schließlich Kinloss[10]. Schaut man sich die Besitzverhältnisse der einzelnen Estates auf Jamaican Family Search an, z.B. für die Jahre 1878, 1891 oder 1910, so lässt sich erkennen, dass die Estates im Laufe der Jahrzehnte immer wieder die Besitzer wechseln und vor allem, dass die Estates zunehmend im Besitz der selben Menschen sind. So erkennt man beispielsweise immer wieder Parallelen zwischen Cambridge und Steelfield.
Im Jahr 1953 kaufte das kanadische multinationale Konglomerat Seagram Ltd. Long Pond von der J.B. Sheriff & Company Limited[11]. Seagrams hatte bereits seit 1944 mit Captain Morgan eine eigene Rum Marke am Start und brauchte für diesen nun dringend Kapazitäten. Im Jahr 1955 kaufte Long Pond das benachbarte Vale Royal, welches wiederum vier Jahre später seine Tore schloss und in Long Pond weiterlebte. Mit Vale Royal gemeinsam wurde aus Long Pond Estates dann Trelawny Estates[12]. Der nächste einschneidende Schritt erfolgte im November 1977, als Trelawny Estates von der jamaicanischen Regierung, der Inselstaat war seit 1962 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen worden, verstaatlicht wurde. Es folgte mit dem neuen Namen "The National Sugar Company of Long Pond Limited" wiederum eine Umbenennung[13]. Im Jahr 1993 verkaufte die Regierung Jamaicas Long Pond dann an mehrere Finanzgruppen[14], bevor es 2006 in National Rums of Jamaica Ltd. (NRJ) eingegliedert wurde, an der die National Sugar Company wiederum zu einem Drittel beteiligt ist[15]. 2009 kaufte die Familie Hussey (Everglade Farms), denen auch das nahegelegene Hampden Estate gehört, die Zuckerfabrik Long Pond, während die Destillerie Long Pond weiter unter dem Dach von NRJ firmiert. Zwischen 2012 und 2017 wurde in Long Pond wegen diverser Probleme kein Rum produziert, doch inzwischen ist die Produktion wieder aufgenommen[16].
In Long Pond existieren ganz sicher noch fünf John Dore bzw. Vendome Pot Stills, von denen vier 13.200 Liter fassen, und eine, die 5.600 Liter fasst[17], sowie mindestens eine Column Still[18]. Ob, und wenn ja, wieviele und welche von ihnen unter Umständen auch aus früheren Destillerien wie Cambridge oder Vale Royal stammen ist derzeit aber leider noch vollkommen unklar. Auf den Bildern von Cyril und Matt ist aber deutlich zu erkennen, dass einige der Stills schon sehr, sehr alt sein dürften. Hier erhoffe ich mir in den nächsten Jahren und mit zunehmender Aufmerksamkeit für die Destillerie Long Pond noch weitere Erkenntnisse.

Tilston: über Tilston Estate (vereinzelt auch Tilestone oder Tileston) ist leider nur sehr wenig bekannt. Sicher wissen wir, dass Tilston schon bereits im 18. Jahrhundert existierte und in dieser Zeit, bis ins 19. Jahrhundert hinein, von der Familie Simpson geführt wurde: zunächst von John Simpson of Bounty Hall (Senior; ✝1785) und später von John Simpson of Fair Lawn Kent (Junior; ✝1847)[19]. Letzterer erbte auch Vale Royal von Thomas Pepper Thompson[20]. Später war Tilston dann im Besitz einer gewissen Miss A. M. Jarrett[21][22], bevor als Besitzer im Jahr 1910 schließlich ein uns wohl bekannter Mann genannt wird, nämlich Dermot Owen Kelly-Lawson[23], dem auch Hampden gehörte. Anschließend verliert sich die Spur leider und auch eine Angabe über eine Schließung konnte ich nicht finden. Somit wäre aus meiner Sicht naheliegender, dass Tilston vielleicht ein Teil der Geschichte Hampdens ist, allerdings weist die Geschichte der beiden Destillerien Hampden und Long Pond auch immer wieder Parallelen auf, so dass nicht auszuschließen ist, dass Tilston auch irgendwann noch an Long Pond ging. Wer weiß, vielleicht erfahren wir ja auch hier in den nächsten Jahren noch mehr.



Anders als bei Cambridge und Vale Royal kann ich also auf die Bedeutung des Marks des heutigen Rums, TECC, nicht wirklich näher eingehen, mit Ausnahme des für das Mark definierten Estergehalts von 1500 - 1600 (laut Label von Velier sogar 1700, was aber verboten wäre) gr/hlpa. TE könnte, wie gesagt, für Tilston Estate stehen, aber das ist eben mehr als unklar. Für uns Connaisseure ist das Mark insofern etwas besonders, als dass wir zwar schon unzählige Long Ponds aus diversen Jahrgängen, bis zurück in die 1940er Jahre, probieren durften, jedoch noch nie einen Rum aus Long Pond bekamen, der einen auch nur annähernd so hohen Estergehalt hatte. Bisher war der LPS (Long Pond Special) von Rum Albrecht mit 400 - 550 gr/hlpa in dieser Hinsicht das Maximum. Der jetzt erschienene Cambridge lag mit 550 - 700 gr/hlpa erstmals knapp darüber und der TECC knackt diese Marke nun deutlich. Damit verbunden sind bei einem High Ester Aficionado wie mir natürlich auch Erwartungen. Na klar schwebt mir im Hinterkopf, dass dieser Estergehalt dem des Hampden DOK entspricht, einem Ester-Monster! Wie wird er also sein? Ähnlich? Bei Cambridge, und früher auch schon bei LPS, sahen wir, dass die Ester bei Long Pond in eine gänzlich andere Richtung gehen können. Hampden ist mit seinem Style da schon sehr, sehr unique, genau wie eben auch Long Pond. Wie also kommt der TECC? Ich bin gespannt und daher geht es nun auch direkt an die Verkostung! Viel Spaß!


Verkostung des Velier 11 YO Long Pond 2007:

Preis: mit 145,- Euro für eine Flasche war der Rum alles andere als ein Schnäppchen für eine so junge Abfüllung.

Alter: der Rum reifte von 2007 bis 2018 insgesamt 11 Jahre lang in Eichenholzfässern.

Lagerung: die Reifung erfolgte tropisch, der Rum lag während all der Jahre auf Jamaica.

Fassnummern: unbekannt. Es wurden 11 Fässer verwendet und 3325 Flaschen abgefüllt. 

Angel's Share: >57%  

Alkoholstärke: High Proof - der Rum hat eine Trinkstärke von 62,5% vol.

Destillationsverfahren: Double Retort Pot Still.

Mark: TECC (maybe Tilston Estate CC)

Farbe: Kupfer, dunkler Bernstein. 

Viskosität: dicke, fette, satte, weite, regelmäßige Schlieren laufen an der Glaswand herunter. Sehr ölig!

Nase: sehr, sehr reichhaltig, voll und schwer! Was für ein Brett! Hammer! Der dritte der Long Ponds und wieder habe ich einen vollkommen anderen Rum im Glas. Beim TECC fällt der hohe Estergehalt direkt auf und man merkt, dass es sich so ein wenig um das Long Pond Äquivalent zum Hampden DOK handelt. Heavy Bodied!
Das Bouquet bietet natürlich die volle Dröhnung Ester, die Assoziationen zu Nagellackentferner, Klebstoff, Marzipan, gegrillter Ananas und Zitrone wecken. Darüber hinaus hat aber auch das Fass, trotz der "nur" elf Jahre dauernden Reifung, schon gut gewirkt und verleiht ihm so einiges an Komplexität, welche mir z.B. bei den 6 oder 7 Jahre tropisch gereiften Rums noch fehlten. Immer wieder gehe ich mit der Nase zum Glas und versuche, diese extrem konzentriert auftretenden, dichten und verwobenen Aromen zu extrahieren, was beim TECC wirklich keine leicht Übung ist. Ich habe da, neben Eichenholz, u.a. auch Brot, Pistazien, Nüsse und Stroh. Das gefällt mir alles wirklich sehr, sehr gut und schon wieder steckt meine Nase tief im Glas! Der hohe Alkoholgehalt lässt sich zwar nicht verleugnen, allerdings empfinde ich diesen hier als gut eingebunden.

Gaumen: Huh, der erste Eindruck ist vor allem sehr sauer! Der Rum ist überaus adstringent. Es zieht einem richtig den Mund zusammen. Direkt dahinter rauscht dann auch schon die alkoholische Schärfe heran, die tatsächlich deutlicher ausfällt, als bei den bisherigen Long Pond. Der hohe Alkoholgehalt von 62,5% vol. ist klar zu merken. Größere Schlücke sind zunächst nicht zu empfehlen. Hat sich der Alkohol aber erstmal verzogen, wird auch dieser Rum cremiger und macht ab dem Moment richtig Spaß!
Das Aromenspektrum reicht von süßen Komponenten wie Marzipan, über deutliche Säure von Zitrone und Limette, bis hin zu fruchtigen Anteilen von gegrillter Ananas, Banane oder Mango und Fasseinflüssen von Eichenholz, frisch geschnittenem Geäst, Humus, Anis und weiteren Gewürzen. Ein Rum, der wirklich lecker ist, den ich aber sicher auch nicht jeden Tag genießen könnte. Sehr speziell, aber auch sehr geil! Freak Stuff!

Abgang: ewig lang! Es bleibt nun vor allem eine feine Note Anis am Gaumen haften, gepaart mit einem immer noch deutlichen Säureanteil. Dazu die Fassnoten vom Eichenholz. Dann trockener werdend. Und nach einigen Minuten glaube ich tatsächlich Fisch wahrzunehmen. Alles in allem ist das schon große Klasse!

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Fazit: der macht mir Spaß, und zwar vom ersten Moment an bis zwei Stunden und mehr nach dem letzten Schluck! Klasse! Nach den, im Vergleich, noch eher zurückhaltenden Cambridge und Vale Royal, hat mich auch der TECC heute wirklich begeistern können! Von den beiden Continental Flavoured Long Ponds, den Vale Royal nehme ich da als Wedderburn einfach mal aus, ist es auch dieser, der Hampden vermutlich bisher noch am nächsten kommt. Zwar ist DOK, für den der gleiche Estergehalt definiert ist wie für TECC, noch ein wenig extremer und aggressiver, aber der TECC wäre es wohl, den ich mir öfter mal einschenken würde, weil er noch einmal deutlich runder kommt, soweit man das bei einem Rum mit solch exorbitant hohem Estergehalt überhaupt sagen kann. Damit hat er es vielleicht sogar in der breiten Masse ein wenig einfacher als sein Hampden-Äquivalent, aber ich denke dennoch, dass der weitestgehend eher etwas für Nerds oder High Ester Freaks ist. In jedem Fall aber sehe ich TECC als einen Stil, der erneut vollkommen anders ist als die Rums, die man sonst so ins Glas bekommt und von dem ich auch in Zukunft gerne noch mehr probieren würde.


Getrübt wird das ganze dann letztlich auch nur durch den, wie ich finde, doch recht üppigen Preis, der für den TECC aufgerufen wird. Trotz dessen, dass er mit elf Jahren der jüngste der Serie ist, liegt er fast auf einer Ebene mit dem zwei Jahre älteren Cambridge und der ein Jahr ältere Vale Royal ist sogar deutlich günstiger. Das empfinde ich, anders als beim Cambridge und beim Vale Royal, die ich beide jeweils sehr pointiert bepreist empfunden habe, als etwas zu hoch, was mir eine uneingeschränkte Empfehlung schwerer macht. Ich würde ihn allerdings auch für das Geld kaufen, wenn ich das nicht bereits getan hätte, denn wer den TECC-Stil wirklich geil findet und wen das total abholt, der macht mit dem Rum, auch zu diesem Preis, einfach auch nichts falsch - aber meines Erachtens auch wirklich nur dann nicht! Heißt für euch: besorgt euch am besten erst einmal ein Sample! Das scheint auch ausnahmsweise mal risikofrei zu funktionieren, denn momentan besteht für die Long Ponds, dank der höheren Auflage dieser Serie, noch häufig die Möglichkeit des Kaufs zum Ausgabepreis.

-89/100-


Und damit schließe ich für heute und freue mich bereits darauf, euch nächste Woche zum Long Pond-Finale mit dem 15 YO TECA wieder hier begrüßen zu dürfen!

Bis dahin,
Flo


Sources:

[4] https://rumporter.com/en/luca-gargano-and-jamaica-a-true-romance/
[5] https://www.ucl.ac.uk/lbs/person/view/2146650269
[6] https://www.ucl.ac.uk/lbs/estate/view/3194
[7] https://www.ucl.ac.uk/lbs/person/view/1853282328
[8] https://www.ucl.ac.uk/lbs/estate/view/3194
[9] http://www.jamaicanfamilysearch.com/Members/dprop02.htm
[10] http://durhum.com/longpond/
[11] http://quixoticjoust.blogspot.com/2012/10/jamaicans-involved-in-resort-schemes-in.html
[12] http://durhum.com/longpond/
[13] http://durhum.com/longpond/

[16] http://durhum.com/longpond/
[17] http://durhum.com/longpond/
[18] https://cocktailwonk.com/2016/04/an-exclusive-visit-to-jamaicas-historic-long-pond-rum-distillery.html
[19] https://www.ucl.ac.uk/lbs/estate/view/2087
[20] https://www.ucl.ac.uk/lbs/person/view/2146642371
[21] http://www.jamaicanfamilysearch.com/Members/dprop02.htm
[22] http://www.jamaicanfamilysearch.com/Members/1/1891est.htm
[23] http://www.jamaicanfamilysearch.com/Members/1/1910d30.htm



Sonntag, 21. Oktober 2018

Velier 12 YO VRW Vale Royal 2006

Liebe Rum Gemeinde,

und weiter geht es heute direkt mit der zweiten der vier neuen Jamaica Rum-Abfüllungen von Velier, welche alle von National Rums of Jamaica Ltd. stammen und in der Long Pond Distillery gebrannt wurden: verkostet wird der 12 YO Vale Royal VRW 2006!



Wer meine Review zum Cambridge 2005 neulich gelesen hat, der wird sich erinnern, dass plötzlich eine Reihe neuer Begriffe in unsere kleine Rum-Welt getreten sind, die ich mich wiederum bemüht habe, so gut es mir möglich war zu enträtseln. Für all jene, die die Review nicht gelesen haben und auch um hinter all die Begriffe, die heute wieder neu dazu kommen, wie National Rums of Jamaica Ltd., Vale Royal oder VRW, zu verstehen, werde ich die Verkostung, wie schon in meiner Review zum Cambridge, mit einem kurzen, komprimierten Ausflug nach Guyana zum Demerara Rum beginnen, um anhand dessen das Geflecht rund um National Rums of Jamaica Ltd. aufzuschlüsseln und dazu der Einfachheit halber, auch wenn das sonst nicht meine Art ist, die Absätze zu diesem Thema aus der Cambridge Review nahezu 1:1 übernehmen. Wer die Ausführungen der letzten Woche noch gut in Erinnerung weiß, der kann ab der Überschrift "Vale Royal", direkt im Anschluss an die Tabellen mit den Marks, einsteigen. Ab da geht es mit komplett neuen Infos los.


Zum Einstieg:

Im Grunde genommen muss man sich das ganze Konstrukt nämlich ähnlich vorstellen wie beim Demerara Rum, dessen Geschichte ebenfalls verworren, inzwischen allerdings weit fortgeschrittener dokumentiert ist und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, in erster Linie durch eine umfassende Arbeit von Marco Freyer. Zusammengefasst: beim Demerara Rum haben wir mit Demerara Distillers Ltd. (DDL) eine übergeordnete Firma und mit Diamond eine Destillerie, die dieser Firma gehört. Diese Destillerie stellt den Rum von Diamond her, allerdings auch viele andere Rum Stile von Brennereien aus Guyana, die ihre Tore längst geschlossen haben, teilweise schon seit Jahrzehnten. Dazu zählen z.B. Enmore, Port Mourant, Uitvlugt, Versailles, Albion, Skeldon oder La Bonne Intention. Dies tut Diamond, indem es, teilweise mit den alten und erhaltenen Destillierapparaten der geschlossenen Destillerien, deren Stile (genauer bezeichnet durch ein so genanntes Mark) weiter produziert. So gibt es auch heute noch beispielsweise Port Mourant Rum (Mark: PM), obwohl die Destillerie Port Mourant schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert. Aber die Double Wooden Pot Still aus Port Mourant, die ist noch immer erhalten und produziert in der Destillerie Diamond weiter u.a. das Mark PM. Die Destillierapparate vieler anderer ehemaliger Destillerien sind heute längst verschrottet, aber teilweise ist es möglich, auch deren alte Stile durch die noch existierenden Apparate anderer Destillerien quasi nachzuahmen. Dies gilt z.B. für Albion. Da war man bei jeder neuerlichen Schließung einer Brennerei und damit verbundener Umzüge in andere Brennereien leider sehr pragmatisch. 
Was bedeutet das nun für unseren heutigen Rum oder die vier neuen Rums von Velier im Allgemeinen? Nun, wir haben mit National Rums of Jamaica Ltd. (NRJ) erneut eine übergeordnete Holding, die nicht selbst Rum herstellt, sondern, unter deren Dach verschiedene Destillerien Rum herstellen. NRJ hat sich im Jahr 2006 gegründet und bildet einen Zusammenschluss der drei Destillerien Clarendon (Monymusk), Long Pond und Innswood, von denen Innswood aber schon seit 1996 nicht mehr aktiv ist und Long Pond zwischenzeitlich nicht mehr aktiv war, seit 2017 aber wieder ist. NRJ gehört zu je einem Drittel dem Staat Jamaica in Form der National Sugar Company, der West Indies Rum Distillery auf Barbados (gehört inzwischen wiederum Ferrand in Frankreich) und DDL in Guyana. 
Innswood und Clarendon sind jeweils vergleichbar junge Destillerien, die erst um die Mitte des 20. Jahrhundert herum ihren Betrieb aufnahmen. Die Geschichte Innswoods war eine recht kurze, denn man produzierte nur von 1959 bis 1992 Rum. Danach wurden hier nur noch die Räumlichkeiten genutzt, z.B. für die Lagerung und das Blending der Rums[1]. Die Geschichte Clarendons beginnt entweder im Jahr 1938 oder 1949. Hier wird bis heute Rum produziert, u.a. auch der Rum, den wir als Monymusk kennen und der auf das Monymusk Estate zurückgeht, dessen Historie wiederum schon über 200 Jahre zurückreicht. Clarendon gehört allerdings nur zu 73% zu NRJ. Die restlichen 27% gehören Diageo, dem weltgrößten Spirituosen-Konglomerat, was wiederum dazu führt, dass ca. 90% des gesamten Outputs von Clarendon an Diageo gehen[2]. Die dritte der Destillerien im Bunde ist die im Parish Trelawny gelegene Long Pond Distillery, und nun wird es spannend. Nicht nur, weil die Geschichte Long Ponds wesentlich länger und geschichtsträchtiger ist und bereits im Jahr 1753 beginnt, als die Familie Reid die Destillerie und ihr Anwesen begründeten[3], sondern vor allem deshalb, weil Long Pond quasi das jamaikanische Äquivalent zur Diamond Destillerie in Guyana ist. Wie Diamond in Guyana, so hat auch Long Pond auf Jamaica im Laufe der Jahrzehnte (und vielleicht sogar Jahrhunderte) immer wieder verschiedene Destillerien oder aber zumindest ihre Destillierapparate oder auch nur deren Stile übernommen und stellt deshalb heute sehr viele verschiedene Rums her, die auch bei Long Ponds durch die so genannten Marks unterschieden werden. Zwar kennt Jamaica Rum bereits im Grundsatz eine Einteilung seiner Rums in vier verschiedene Stile, die sich am Estergehalt der Rums richten, allerdings unterscheidet da auch jede Destillerie auch noch einmal für sich selbst. Die vier allgemeinen Jamaica Stile sind:

Jamaican Ester Mark:Ester (gr/hlpa)
Common Clean80-150
Plummer150-200
Wedderburn200-300
Continental Flavoured700-1600



Long Pond unterscheidet seine Stile nicht nur in vier verschiedene Stile, sondern in insgesamt zwölf! Diese wiederum können dann, meist, einem der vier übergeordneten Jamaica Stiele zugeordnet werden, wobei Long Pond auch Marks führt, die einen Estergehalt aufweisen sollen, welcher keinem der vier Stile zuzurechnen ist. Das trifft unter anderem auf CRV und CQV zu, aber auch auf LPS und auf das Mark um das es letzte Woche ganz besonders ging: STC🖤E! Der Rum über den wir heute sprechen trägt das Mark VRW, welches für Vale Royal Wedderburn steht, obwohl der für das Mark definierte Estergehalt (150 - 250 gr/hlpa) durchaus auch einem Plummer entsprechen könnte.

Long Pond MarkEster Level (gr/hlpa)
CRV0-20
CQV20-50
LRM50-90
ITP/LSO90-120
HJC/LIB120-150
IRW/VRW150-250
HHHS/OCLP250-400
LPS400-550
STC🖤E550-700
TECA1200-1300
TECB1300-1400
TECC1500-1600


Vale Royal:

Letzte Woche haben wir mit Cambridge bereits eine dieser verlorenen Destillerien kennengelernt. Heute werde ich euch hier noch eine weitere solche ehemalige Brennerei vorstellen, nämlich die Vale Royal Distillery, gelegen, wie Long Pond und Cambridge, im Parish Trelawny. Die Geschichte der Destillerie ist zum Teil sehr widersprüchlich. Sie wurde, laut Dr. Raul A. Mosley, im Jahr 1776 von Charles Graves gegründet und hieß zu Beginn noch Walky Walky[4]. Laut eben dieser Quelle erfolgte die Umbenennung in Vale Royal im Jahr 1828, sowie ein Verkauf an Thomas Pepper Thompson nach der Abschaffung der Sklaverei auf Jamaica, das heißt nach dem Slavery Abolition Act im Jahr 1834[5]. Laut den Daten des University College London, die die Geschichte der britischen Sklaverei umfassend dokumentiert haben, erwarb Thompson Vale Royal aber bereits spätestens im Jahr 1787[6]. Was allerdings noch viel widersprüchlicher ist: laut UCL starb Thomas Pepper Thompson schon bereits zwischen 1820 und 1823[7] und kann daher unmöglich über zehn Jahre nach seinem Tod die Destillerie erst erworben haben. Nach seinem Tod wurde Vale Royal laut UCL von Anwälten in einer Nachlassverwaltung geführt, u.a. von seinem Enkel Thomas James Thompson, bevor es im Jahr 1847 testamentarisch an einen Mann namens John Simpson of Fair Lawn Kent fiel[8]. Dieser wiederum war auch Eigentümer der Estates Bounty Hall, Chester, Lancaster, Maria Bueno und Tilston (oder Tillstone)[9]. Letzteres Estate, Tilston, wird nächste Woche noch eine Rolle spielen. Im Anschluss verliert sich die Spur leider etwas, da das UCL die Daten nur für die Zeit der Sklaverei destailliert aufführt und gesammelt hat. Erst für das Jahr 1878 lässt sich die Fährte wieder aufnehmen. In diesem Jahr führt Jamaican Family Search auch Vale Royal als aktives Sugar Estate und nennt hier einen Mann namens Henry Sewell als Besitzer. Diesem gehörten zu jener Zeit auch Arcadia und Lottery[10]. Die gleiche Quelle bestätigt diese Besitzverhältnisse auch noch für die folgenden Jahre, bis in das Jahr 1910[11]. Für die Zeit der darauf folgenen 49 Jahre, zwischen 1910 und 1959, hingegen finde ich leider keine wirklichen Belege mehr.

Vale Royal Estate um 1910 zu Zeiten von Henry Sewell.
Sourcehttp://myjamaicanfamily.blogspot.com/2007/10/month-in-country.html?m=1

Im Jahr 1959 schloss Vale Royal seine Tore für immer (s. Backlabel) und folgte damit einer Entwicklung, die die Plantagen und Destillerien Jamaicas ab Mitte des 19. Jahrhunderts, mit Abschaffung der Sklaverei und dem damit einhergehenden Einbruch der Zuckerproduktion, grundsätzlich und ganzheitlich erfasste. Waren es um 1830, also vier Jahre vor dem Slavery Abolition Act, noch ca. 600 Zuckerplantagen auf Jamaica, mit dazugehörigen Destillerien, so existierten nur 30 Jahre später, um 1860 also, schon nur noch 148 von ihnen. Im Jahr 1948 waren es kaum noch 25 Destillerien, während heute, im Jahr 2018, nur noch fünf von ihnen existieren[12]: Appleton, Clarendon, Hampden, Long Pond und Worthy Park. Dies zeigt auch, welche enorme Arbeitsleistung die fast 300.000 Sklaven auf Jamaica in all den Jahren bis zum Emanzipation Act zu verrichten hatten, ohne die die Kapazitäten der Produktion auf Jamaica ab 1838 etwa nicht einmal mehr im Ansatz zu halten waren. Alleine in Vale Royal waren es bis 1832 jährlich zwischen 332 und 257 versklavte Menschen[13]. Dieses Thema ist für sich gesehen allerdings so umfassend und auch geschichtlich bedeutend, dass ich plane, mich damit in einem gesonderten Beitrag noch einmal genauer auseinanderzusetzen. Deshalb nun zunächst zurück in die Mitte des 20. Jahrhunderts, nach Vale Royal, das im Jahr 1959 also an Long Pond verkauft wurde. Dort, in Long Pond, bewahrt man das Erbe der Destillerie bis heute und produziert noch immer auch Rum im alten Stile von Vale Royal. Ob das auch noch direkt und unmittelbar mit originalen Destillierapparaten der einstigen Brennerei passiert, oder nur noch indirekt, indem der Stil mit anderen Brennanlagen Long Ponds reproduziert wird, habe ich leider noch nicht in Erfahrung bringen können. Der Stil Vale Royals wird mit dem Mark VRW angegeben, welches für Vale Royal Wedderburn steht. Mit dem Mark definiert Long Pond Rums mit einem Estergehalt von 150-250 gr/hlpa, was streng genommen auch bedeuten könnte, dass die Rums nicht nur dem Stil Wedderburn, sondern auch dem des Plummer zugeordnet werden könnten. Velier geht für die heute besprochene Abfüllung aber von einem Wedderburn aus, auch wenn der genaue Estergehalt nicht exakt angegeben ist.



Im großen Gegensatz zu Cambridge letzte Woche, welches selbst den meisten Liebhabern von Jamaica Rum bis dahin vollkommen unbekannt gewesen sein dürfte, war Vale Royal der Rum-Welt schon bereits vor dem Auftauchen der neuen Velier-Bottlings durchaus nicht unbekannt, da immer mal wieder, wenn auch sehr selten, Rums dieses Stils bei unabhängigen Abfüllern auftauchten. Zuletzt war das bei Bristol Spirits Ltd. der Fall, die ein Batch aus 2002 im Portfolio hatten, welches sie 2010 und 2011 zur Abfüllung brachten. Mutmaßlich hat auch Compagnie Des Indes einen Vale Royal abgefüllt, den ich hier auch besprochen hatte, allerdings ist das nicht offiziell bestätigt. Insgesamt also kann man die Vale Royal Bottlings wirklich an einer Hand abzählen, weswegen ich sie hier einmal kurz aufliste, soweit mir bekannt:

  • Averys Finest Jamaica Rum 9 YO Vale Royal ~1970 - 43,4% vol.
  • Bristol Classic Jamaica Rum 8 YO Vale Royal 2002 - 43% vol.
  • Bristol Classic Jamaica Rum 9 YO Vale Royal 2002 - 43% vol.
  • Bristol Classic Jamaica Rum 25 YO Vale Royal 1969 - 42% vol.


Sowie mutmaßlich:

  • Compagnie des Indes Jamaica Rum 12 YO Long Pond 2003 - 44% vol.

Den 25 Jahre alten Bristol Vale Royal aus 1969 und den Averys konnte ich leider nie probieren, aber die beiden jungen Bristol aus 2002, sowie den Compagnie Des Indes aus 2003, habe ich jeweils im Glas gehabt und war wegen deren geringen Alkoholgehälter, aber vor allem auch wegen des jeweils sehr jungen Alters, nicht unbedingt restlos überzeugt. Allen dreien gemeinsam war allerdings auch, dass ich sie im Grundsatz spannend fand und ich da durchaus großes Potenzial gesehen habe, bei fortgeschrittener Reife und einem höheren Alkoholgehalt eine echte Bereicherung für die Rum Welt darzustellen. Ich hatte immer gehofft, dass in die Richtung mal etwas auf den Markt kommt, und mit dem Velier VRW wurde diese Bitte nun glücklicherweise erfüllt: 12 Jahre tropische Reifung und 62,5% vol. versprechen eine deutliche Steigerung und ich bin schon sehr gespannt, inwieweit sich diese im Grundsatz schon vollkommen unterschiedlichen Voraussetzung im heute verkosteten Destillat hoffentlich positiv bemerkbar machen.



Verkostung des Velier 12 YO Vale Royal 2006:

Preis: ca. 130,- Euro werden für eine Flasche zu Release-Start aufgerufen. 

Alter: 12 Jahre lang, von 2006 bis 2018 nämlich, reifte der Rum im Fass.

Lagerung: der Rum reifte komplett in den Tropen auf Jamaica.

Fassnummern: unbekannt. Es wurden 11 Fässer verwendet und 3412 Flaschen abgefüllt.

Angel's Share: >60%

Alkoholstärke: High Proof - der Rum hat eine Trinkstärke von 62,5% vol.

Destillationsverfahren: Double Retort John Dore Pot Still

Mark: VRW (Vale Royal Wedderburn)

Farbe: Kupfer, ins Mahagoni gehend. 

Viskosität: der Rum bildet weite Bögen, aus denen sich satte, fette, unregelmäßig und eilig fließende Schlieren herausbilden.

Nase: sehr verhaltene Nase in den ersten Minuten. Etwas Alkohol ist präsent, aber ansonsten riecht der Rum unerwartet neutral und wenig tief oder gar komplex. Nach etwa einer halben Stunde im abgedeckten Glas hat sich das zwar nicht grundsätzlich geändert, aber ich finde doch schon deutlich mehr vor. Klar, der Rum hat einen deutlich geringeren Estergehalt als der Cambridge, und das merkt man auch. Es steckt sehr viel weniger Wucht und Power hinter dem Vale Royal, das läuft alles sehr viel subtiler ab. Long Pond erkenne ich entfernt und in einzelnen Anklängen, weswegen ich vermute, dass doch einige als Long Pond gelabelte Rums aus der Vergangenheit in Wirklichkeit Vale Royals gewesen sein könnten, aber jene, auf denen auch tatsächlich Vale Royal drauf stand, wie z.B. die Bristol 2002, finde ich hier eher nicht. Insgesamt ist der Rum einfach sehr Jamaica-untypisch. Ob ich ihn blind dahin verorten würde, möchte ich deutlich in Zweifel ziehen. Der Rum hat im Bouquet etwas sehr vegetales, pflanzliches, gepaart mit etwas Cashewkernen, Nüssen, Leder, süß-säuerlicher Traube, ganz dezenter Ananas und einer schönen Note vom Fass. Nach hinten heraus tut sich dann noch ein Gewürzschrank auf und verströmt ein Potpourri an Anis, Pfeffer und noch einigem anderen an Gewürzen. Der Rum braucht lange bis er aufmacht, aber nach ca. einer Stunde gefällt mir die Nase durchaus sehr gut.

Gaumen: am Gaumen überkommt mich direkt ein vertrautes Gefühl, denn ich habe sehr klar Jamaica und auch sehr eindeutig Long Pond. Wirklich erstaunlich, nach dieser Nase! Der Alkohol ist unauffällig eingebunden, so dass ich auch größere Schlücke nehmen kann und direkt Platz und Raum ist für die volle Dröhung an Geschmack. Und was da kommt, das gefällt mir außerordentlich gut! Zwar ist das auch alles andere als brachial, aber es ist für mich eben lecker! Bei Hampden brauche ich die Brechstange, aber bei Long Pond stehe ich sehr drauf, wenn sie smoother daherkommen, weswegen der Vale Royal gerade durchaus bei mir landen kann. Der Rum ist zu Beginn angenehm adstringent und geht dann ins cremige über. Ich nehme Eindrücke von Nüssen, Macadamia, Stroh, gegrillter Ananas und viel Anis wahr, dazu eine präsente und gelungene Note vom Fass. Da sind Eichenholz, weitere Gewürze, Tannine und nach hinten heraus ist da auch noch etwas blumiges, florales, fast pafümiertes. Der Rum wird nun zunehmend trockener und verabschiedet sich damit in den Abgang. Klasse!

Abgang: Pfeffer und Anis, dazu Macadamia und viel Holz. So macht sich der Rum auf den Weg nach unten und hallt angenehm und lange nach.

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Fazit: nach anfänglichen Schwächen und Startschwierigkeiten in der Nase, geht der Rum dann nach ca. einer Stunde und spätestens aber am Gaumen so richtig steil! Insbesondere auch die super Einbindung des Alkohols fiel positiv auf. Der nächste Volltreffer also, wenngleich ich mir sicher bin, dass es der Vale Royal sehr viel schwerer haben wird ein breites Publikum zu begeistern als der Cambridge, schon alleine, weil er einfach sehr viel Zeit braucht. Dass der in Paris auf der Messe, wo oft einfach nur Rum an Rum im Minutentakt probiert wird, angeblich oft nicht so gut ankam wundert mich daher überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Der Vale Royal ist nichts für zwischendurch. Wer sich da zuhause also nochmal die Zeit nimmt und alle vier einmal ganz in Ruhe probiert, der wird vielleicht zu einem anderen Urteil gelangen. Ich persönlich fühle mich bei dieser Abfüllung erstaunlicherweise etwas an die Long Ponds aus 1985 erinnert, die ich schon damals sehr abgefeiert habe, nicht aber unbedingt an die 2002er von Bristol, die ja als Vale Royals deklariert waren! Aus meiner Sicht sind das nochmal zwei sehr unterschiedliche Stile. Die Bristols aus 2002, ich hatte es oben erwähnt, gefielen mir damals eher weniger, auch, weil sie mit nur 43% vol. aus meiner Sicht einen viel zu geringen Alkoholgehalt hatten. Der Vale Royal von Velier schmeckt mir dagegen sehr gut und daher gilt auch hier und heute für mich, wie beim Cambridge: gerne mehr davon! Toll, dass Velier uns diese seltenen Stile in dieser großartigen Qualität zugänglich macht!


Das Preis-Leistungs-Verhältnis, das finde ich noch besonders erwähnenswert, passt beim Vale Royal so gut, wie bei vielleicht keinem der anderen drei der Serie. Er war mit zum Teil unter 130,- Euro der günstigste der vier, was ich hier als sehr stimmig ansehe. Das ist der Rum meines Erachtens definitiv wert und dafür kann und möchte ich den Rum uneingeschränkt empfehlen!

-90/100-


Danken möchte ich an dieser Stelle auch dieses Mal noch dem Freddy, der den Rum geteilt und mir auf diese Weise zugänglich gemacht hat! Vielen lieben Dank!

Nächste Woche geht es dann mit einem der beiden nominellen Long Ponds weiter, wobei auch bei denen möglicherweise noch eine andere "Lost Distillery" Jamaicas im Raum steht. Es bleibt also spannend!


Bis demnächst,
Flo


Sources:
[12] LA MAISON DU WHISKY: The Whisky Chronicles. Creation 2019. Clichy 2018, P. 68
[13] https://www.ucl.ac.uk/lbs/estate/view/1523