Donnerstag, 29. August 2024

The Sins - Avarice- Long Pond Jamaica Rum 1983

Liebe Rum Gemeinde,

dieses sind die ersten Zeilen auf BAT seit fast zwei Jahren und nachdem meine letzte Review dementsprechend lange zurück liegt und ich -Stand heute- auch für die nächsten Monate, bzw. Jahre, nicht damit rechne, dass sich die Frequenz meiner Verkostungen wieder erhöht, muss ich im Vorfeld direkt festhalten, dass die heutige Review des The Sins -Avarice- Long Pond 1983 leider als Ausnahme zu meiner Inaktivität verstanden werden muss und nicht als Rückkehr zu regelmäßigen Beiträgen von mir. Ich weiß, dass ich eine Wiederaufnahme meiner schreiberischen Aktivität in der Vergangenheit durchaus angedeutet und mir auch vorgenommen hatte, aber die Realität wird auch weiterhin eine andere sein. Dies nur gleich zu Beginn, da sich die Frage ansonsten sicherlich schnell gestellt hätte. 



Wenn ich jetzt aber diese Ausnahme mache und aus völliger Inaktivität über einen Rum schreiben möchte, dann muss dieser Rum ja aber schon etwas sehr besonderes sein, oder? Normalerweise hätte ich es jetzt erstmal mit Franz Beckenbauer gehalten und gesagt: "Schaun mer mal!", aber einen Spannungsbogen künstlich aufzubauen ergibt hier glaube ich keinen Sinn. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern und viele in der Community da draußen haben den Rum auch schon mal u.a. im Rahmen von Festivals im Glas gehabt und auch der Plattform Rum X kann es entnommen werden, dass der Rum um den es heute geht keiner von der Stange ist und auch bisher durch die Bank überzeugt hat. Nun möchte ich mir gerne selbst ein Bild machen und lasse euch daran teilhaben. Allerdings: auch wenn ich selbstverständlich meinen guten Geschmack nicht verloren habe und auch weiterhin im privaten Rahmen Rum trinke, so ist mir aber die Routine an der Tastatur durchaus verloren gegangen. Für eine Review benötigte ich vor einigen Jahren mit Sicherheit etwa 10 Stunden im Schnitt, schließlich hing oft ja auch einiges an Recherche dran, die zu vielen Beiträgen im Vorfeld betrieben werden wollte. Würde ich heute eine Review in diesem Umfang schreiben, wäre ich vermutlich für Wochen eingebunden. Diese Zeit habe ich nicht mehr und so wird der heutige Beitrag um einiges kompakter werden als es Reviews in früheren Tagen waren. Und dementsprechend wird es hier ohne große Vorinformationen mehr oder weniger direkt ins Tasting gehen. Nur so viel: der Rum wurde von Distilia abgefüllt und für die Auswahl des Fasses aus dem Distilia Fasslager und die Gestaltung des Labels war der Rob verantwortlich. Den wiederum muss ich hier aber glaube ich ohnehin niemandem mehr vorstellen, oder? Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand meinen Blog kennt, aber noch nie etwas von Rob gehört hat. Und falls doch, dürft ihr gerne mal nach Whisky Digest, Grape of the Art oder dem Armagnac Festival in Stuttgart googlen ;-) 

Wer mehr über die Destillerie Long Pond erfahren möchte, der kann gerne in meinem Beitrag von 2018 ein wenig stöbern, auch wenn dieser an der einen oder anderen Stelle möglicherweise schon nicht mehr aktuell ist.

Aus Gründen der Transparenz sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass ich ein Sample zur Verkostung dieses Rums, sowie zu Fotozwecken, gratis erhielt. Auf meinen Geschmack und die Bewertung hat dies selbstverständlich aber keinen Einfluss. 


Verkostung des The Sins -Avarice- Long Pond Jamaica Rum 1983:

Preis: die unverbindliche Preisempfehlung für den 1983er Long Pond wird bei 850€ liegen und Release ist am 29. August 2024.  

Alter: von 1983 bis Februar 2024 durfte der Rum 40 Jahre im Fass reifen. 

Lagerung: keine Angabe. Vermutlich reifte er aber über weite Teile, wenn nicht sogar die gesamte Zeit seiner Reifung in Europa. 

Fassnummer: #1134 - es handelt sich folglich um ein Single Cask. Dieses ergab noch 203 Flaschen a 0,7 Liter.

Angel's Share: unbekannt.  

Alkoholstärke: der Rum kommt mit entspannten 51,6% vol. daher. 

Destillationsverfahren: der Rum entstammt einer Pot Still von Long Pond.

Mark: keine Angaben.

Farbe: leuchtend goldenes Stroh! Eine wunderschöne Farbe und typisch für ein kontinental gereiftes Destillat. 

Viskosität: enge, aber wenig parallel fließende Schlieren ziehen sich an der Glaswand herunter. 

Nase:
 Stunning! Eine wirklich fantastische Nase begrüßt mich hier nach fast zwei Jahren auf dem Blog zurück. Jamaica, ich bin zuhause - aber sowas von! Für einen Long Pond kommt die Nase ungewöhnlich intensiv und beinahe schon extrem daher. Um nicht zu sagen: ich bin gedanklich erst einmal bei Hampden! Da steckt einiges an Estern drin, die den Rum mit Lösungsmitteln und Klebstoff bereichern, die dabei aber nicht nur die Herzen von Freunden von High Ester Rums höher schlagen lassen, sondern auch jene derer, denen der Schlag in die Fresse von Hampden deutlich zu plump ist. Denn dieser Rum ist einfach richtig gut! Man findet hier, nachdem der Rum einige Zeit im Glas atmen durfte, vieles, was man von einem guten, alten Old School Long Pond erwartet, denn neben seiner Kraft, bringt er auch die für alte Long Pond so typischen feinen und filigranen Noten mit. Wer alte Rum Nations, den Silver Seal 1986, den Isla del Ron 1982 oder vergleichbare Kandidaten im Glas hatte, der wird beim Sins -Avarice nicht umhin kommen in Nostalgie zu verfallen, denn Assoziationen in diese Richtungen muss man ebenso wenig lange suchen wie die Ester. Allerdings kommen diese hier ausgeprägter daher als bei anderen 80s Long Ponds. Gemeinsam haben sie hingegen wieder, dass man keinerlei alkoholische Schärfe in der Nase hat, die 51,6% kommen richtig smooth. Selbst wenn ich meine Nase ins Glas halte und tief einatme brennt da nichts! Allerdings ergibt ein peripheres Nosing natürlich deutlich mehr Sinn und den olfaktorischen Blick frei auf die vielen Noten und Assoziation die in diesem Rum stecken. Da sind neben den erwähnten Lösungsmitteln und Klebstoffen auch ein vegetaler Einschlag, der mich an Stroh und frisch geschnittenes Geäst denken lässt. Dazu gesellen sich gegrillte Ananas, Zitrusfrüchte, Apfel, Banane, Vanille und dunkle Erde. Eine sanfte Note vom Eichenholz des Fasses ist ebenfalls dabei, allerdings beeindruckt es mich sehr, wie wenig ausgeprägt diese nach 40 Jahren der Reife ist. Klar, kontinentale Reife ist ein komplett anderer Schnack als tropische Reife, aber auch nach vier Jahrzehnten in Europa sind Rums nicht selten auch schon mal verholzt. Davon ist der Long Pond sehr weit entfernt!

Gaumen: der Eindruck den ich in der Nase hatte setzt sich am Gaumen nahtlos fort! Geil! Unfassbar gut! Ein richtig schön schwerer, komplexer, öliger und mundfüllender Jamaicaner, der mich auch hier erst einmal wieder an Hampden erinnert, allerdings auch an die tropisch gereiften High Ester Long Ponds, nur eben durch die kontinentale Reife in eine vollkommen andere Richtung entwickelt! Auch das Profil vom Gordon & MacPhail Long Pond 1941 kommt mir in den Sinn. Ein sehr, sehr dichter Rum, total konzentriert und richtig schön ölig. Wo die Nase für ihre 40 Jahre noch fast jugendlich daher kam, verleugnet der Gaumen sein Alter sehr viel weniger. Hier kommt das Eichenholz richtig schön durch und geht mit Anklängen von Gewürzen, insbesondere Nelke und Anis stechen für mich heraus, frischer Erde und der Süße und Säure von tropischen Früchten ein sehr schönes Aromenspiel ein, bei dem keine eine andere Komponente erschlägt. Allerdings komme ich immer wieder nicht an dem Gedanken vorbei, dass das hier doch ein 1983er Hampden HGML ist, der durch die 40 Jahre im Fass zu bisher wenig gekannter Milde geführt hat. Allerdings hatte ich auch schon ewig keinen solchen Rum mehr im Glas, weswegen ich mir in der zweiten Tasting Session einen RA 1983er Hampden daneben gestellt habe und hier verflog mein anfänglicher Hampden-Gedanke doch recht schnell. Die Ester beim Avarice sind krass, aber bei den Hampden aus gleichem Jahr ist das doch alles nochmal ne andere Nummer. Im direkten Vergleich ist der Rum als Long Pond zweifelsfrei zu erkennen. 

Abgang: nach hinten heraus kommt die Eichenholznote vollends zum tragen, was man bei einem 40 Jahre alten Rum aber auch erwarten darf und möchte. Sie nimmt darüber hinaus noch einiges an Gewürzen mit, Anis ist da wieder dabei, aber auch immer noch diese leckere Süße von Früchten. Dazu ist der Abgang ewig lang. Ganz großes Kino! 

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Fazit:
 nach all der Zeit, die ich zwar nicht abstinent verbracht habe, in der ich aber sehr wohl deutlich weniger Rum getrunken habe als noch bis ins Jahr 2021, war es für mich deutlich schwieriger diesen grandiosen Rum zu besprechen als es das noch vor einigen Jahren war. Aber es hat sich mehr als gelohnt! Was für ein Brett! Benchmark Stoff? Mit Sicherheit! Mir fällt aus Long Pond so spontan wenig ein, was da mitgehen kann. Der Gordon & MacPhail 1941 natürlich und die ganz alten Vertreter aus den 1970s und 1980s, die auch alle nochmal ein Stück mehr Schmeichler waren, aber sie waren auch fast alle verdünnt und somit ging da für mich auch immer sehr viel Genuss flöten. Das ist hier anders! Der Rum kommt in seiner Fassstärke und ist aber durch die entspannten 51,6% vol. dennoch kein Alkohol-Hammer. Ich würde beim Avarice Long Pond 1983 sogar von einem wirklich perfekten Jamaicaner sprechen, der das beste aus allen Bereichen in sich vereint. Er ist richtig schön esterig, aber er ist auch filigran, gediegen und gesetzt. Am Ende müssen wir -na klar- noch über den Preis sprechen. 850,- Euro sind eine heftige Stange Geld, insbesondere in der aktuellen Zeit, in der der große Rush erst einmal ausgesetzt scheint und nicht mehr jeder Preis für jeden Rum blind bezahlt wird. Und dennoch glaube ich, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis bei diesem Rum am Ende stimmt und der Rum auch fair bepreist ist. Denn mit diesen Kern-Daten hat er natürlich auch einen USP, denn wo bekommt man sonst einen 40 (!) Jahre alten Long Pond in dieser Qualität? Und was kostet nochmal ein G&M 1941, der am Ende inzwischen auch "nur" noch 18 Jahre älter ist? ;-) Nuff said. 
-95/100-


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