Sonntag, 16. Februar 2020

Appleton Estate 30 YO Jamaica Rum

Liebe Rum Gemeinde,

für das heutige Review (und nach überstandener Magenschleimhaut-Entzündung) kehre ich einmal mehr in mein Kernland Jamaica zurück, auf die Insel und zu der Destillerie, die meine Leidenschaft für Rum vor jetzt ziemlich genau zehn Jahren entfacht haben: Appleton Estate!



Damals, am Anfang des letzten Jahrzehnts, als ich dank eines sehr kompetenten Cocktailforums auf unglaublich hohem Niveau meinen jugendlichen Blick auf den Cocktail als "Saftschubser" überwunden hatte, trank ich zum ersten Mal einen Rum Sour mit Appleton V/X und wusste: dieser Geschmack gefällt mir besser, als alles was ich bisher vom Whisky oder vom Gin oder sonst irgendwo her kannte! Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht vorstellen, jemals eine Spirituose pur genießen zu können, aber im Drink gefiel mir das und so fand ich den allerersten Zugang zu dem, was mich bis heute (zumeist in Fassstärke) so sehr begeistert. Ohne es zu Wissen, war mein Geschmack von diesem Augenblick an von Jamaica Rum geprägt worden. Und gerade als Rum-Einsteiger kann ich auch diesen Weg, also über einen sehr Basisspirituose-dominierten Drink, tatsächlich sehr empfehlen, um sich Spirituosen geschmacklich anzunähern. Dementsprechend gibt es heute, quasi als Tribute, einen Appleton für mich, wenn auch nicht irgendeinen Appleton, sondern den (nach dem 50 Years of Independence) zweitältesten, den die Destillerie aktuell im Portfolio hat: den Appleton Estate 30 YO Jamaica Rum!



Um genau zu sein, müsste es eigentlich natürlich heißen: "den (...) zweitältesten, den die Destillerie aktuell wieder im Portfolio hat". Denn einige werden sich erinnert haben, einen 30 YO gab es von Appleton vor einigen Jahren ja bereits schon einmal, bevor man im Jahr 2018 die Neuauflage releaste. Leider habe ich den Rum damals nicht probiert, denn, da bin ich ehrlich, Appleton gehören gemein hin nicht mehr unbedingt zu meinen Lieblingsrums, aber die aktuelle Abfüllung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Darum geht mein Dank heute auch nach Berlin an einen lieben Connaisseur meines Vertrauens, der mir ein Sample dieses Tropfens zukommen ließ, so dass ich euch den Rum heute vorstellen kann: vielen Dank dafür!

Über den Rum selbst lässt sich, da würde ich mir von Appleton gern noch mehr Transparenz wünschen, leider nicht wirklich viel sagen. Weder weiß man, in welchem Verhältnis Pot- und Column Still Rums zum Einsatz kamen, noch welche Marks verwendet wurden. Die wenigen verfügbaren Informationen lassen da eher indirekt auf einige Fakten schließen. Da der Rum 2018 abgefüllt wurde ist beispielsweise klar, dass die Verwendeten Fässer aus dem Jahrgang 1988 und älter stammen müssen. Jüngere Jahrgänge kommen nicht in Frage, da der jüngste Bestandteil des Blends mit 30 Jahren Reife angegeben ist. Bekannt ist hingegen, dass Appleton seine Rums seit jeher tropisch reift und dass kein Zucker oder andere Zusätze beigegeben werden. Das ist auf Jamaica glücklicherweise gesetzlich verboten. Davon dürften sich andere rum-produzierende Länder gern eine dicke Scheibe abschneiden!

Zu Appleton im Allgemeinen ist hingegen bereits viel gesagt und geschrieben worden, auch von mir in einem seperaten Artikel über J. Wray & Nephew und Appleton Estate. Zwar erreicht der Beitrag in Umfang und Tiefe noch nicht jene von Long Pond, Hampden oder Caroni, aber es sollte für einen kleinen Einstieg genügen. Wer da interessiert ist, der kann also gern mal einen Blick darauf werfen. 



Verkostung des Appleton Estate 30 YO Jamaica Rum:

Preis: der offizielle Ausgabepreis lag bei ca. 400,- Euro. Man bekam ihn zum Teil noch etwas günstiger, oft war er aber auch teurer. Aktuell bekommt man ihn noch für über 500,- Euro.

Alter: über die genauen Blend-Zusammensetzungen schweigt sich Appleton aus, aber der jüngste Bestandteil im Rum wurde dreißig Jahre lang im Fass gereift. 

Lagerung: die Fässer lagerten sämtlichst und über die gesamte Dauer der Reifung auf Jamaica in tropischem Klima, bevor 2018 abgefüllt wurde.  

Fassnummern: keine Angaben. Ebenso ist die genaue Anzahl an Fässern die zum Einsatz kamen unbekannt. Lediglich die Menge an abgefüllten Flaschen, genau 4.000 Stück sind es, wissen wir sicher.

Angel's Share: keine Angaben. 

Alkoholstärke: der Rum kam mit 45% vol. auf die Flasche - verdünnte Trinkstärke. 

Destillationsverfahren: Appleton destilliert sowohl im Pot- als auch im Column Still Verfahren. In welchem Verhältnis die enthaltenen Rums jeweils in welchem Verfahren gebrannt wurden ist nicht bekannt, aber da Appleton als Global Player in erster Linie wirtschaftlich denkt, dürften die Rums im Column Still Verfahren überwiegen, da deren Herstellung um ein vielfaches günstiger ist. 

Mark: unbekannt.

Farbe: tiefes Mahagoni. 

Viskosität: viele eng und parallel verlaufende Schlieren bilden sich an der Glaswand und laufen träge ins Glas zurück.

Nase: ich habe eine tiefe und intensive Appleton-stiltypische Nase, die mir sofort deutlich macht, dass sich um einen wirklich lange gereiften Rum handeln muss. Trocken, mit reichlich Tanninen, aber auch einer schweren, sirupartigen Süße, karamellisiertem Zucker, gepaart mit fruchtigen Mangos und Maracujas, trockenen Nüssen, sowie einem großzügigen Griff in den Gewürzschrank, bei dem Pfeffer, Anis und Nelke heruntergefallen sind empfängt mich die Nase. Ganz peripher kommt auch eine fleischige Note durch, wie ich sie beim Caroni-Jahrgang 1998 oft finde, aber nicht störend. Das gefällt mir bis hier hin ausgesprochen gut, muss ich gestehen! Alkoholische Schärfe habe ich keinerlei, da spielt die drastische Verdünnung auf gerade einmal noch 45% vol. natürlich enorm mit hinein. Die Nase erinnert mich, und ja, das darf durchaus Unterstreichung der von mir hier wahrgenommenen Qualität interpretiert werden, stellenweise auch immer wieder an andere lange gereiften Rums aus Jamaica. Zwar ist das Appleton-Profil noch unverkennbar, aber der Rum ist doch etwas weniger beliebig, als es viele seiner Brüder oft sind. Komplexität, bzw. dessen Abwesenheit, ist und bleibt zwar ein Appleton Thema, aber dieser Rum weiß das besser als andere Destillate der Brennerei zu kompensieren, u.a. über die Intensität.

Gaumen: die Verdünnung, bei einem Rum mit nur 45% vol. kann es am Gaumen erst einmal kein anderes Thema geben, hat dem Rum weniger geschadet als das bei den allermeisten anderen Appleton sonst der Fall ist, die allerdings auch oft gar nur 43% vol. aufweisen. Dafür funktioniert der Rum dann aber problemlos auch mit größeren Schlücken. Zunächst habe ich eine schöne natürliche Süße und Fruchtigkeit, die ich von Appleton so nicht immer unbedingt gewohnt bin und die mir sehr gut gefällt. Dann kommt einiges an Holz heraus, aber eher trockenes als feuchtes Holz, so dass insgesamt schon beinahe kurze Assoziationen zu einem Spanier entstehen. Ansonsten kommt da leider nicht so wirklich viel, so dass das Thema der fehlenden Komplexität für mich auch am Gaumen eines ist, dem sich der Rum stellen muss. Je länger der Rum im Mund verbleibt, desto trockener und holziger wird er, was ihm nicht wirklich gut tut. Beendet man den ganzen Spaß dagegen etwas zeitiger, ist der Gesamteindruck deutlich besser. 

Abgang: trocken, leicht nussig, etwas muffig und nicht wirklich lecker bleibt dieser Rum am Gaumen haften. Hier hatte ich mehr erwartet. Der schwächste Part des Rums. 

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Fazit: der Rum ist "ganz nett" und für mich auch definitiv einer der besseren von Appleton, aber zu diesen Kursen, ab 400,- Euro aufwärts, nichts, worüber ich ernsthaft nachdenken würde am Ende auch zu kaufen. Wer die Möglichkeit hat zu probieren, dem würde ich das immer nahelegen, denn Appleton zeigt hier doch mal sehr schön was sie können, aber andere, das zieht sich leider durch, zeigen eben mehr und da ist das bessere der ärgste Feind des guten. Und ja, ich sagte zeigen, denn was Appleton am Ende wirklich kann, das haben wir meines Erachtens noch nie wirklich gesehen. Ein reiner Pot Still von dort würde mich beispielsweise wirklich interessieren, dazu das ganze in Fassstärke... und dann mal schauen, wie ein solcher Rum sich machen würde. Soll heißen: meines Erachtens schöpft Appleton sein Potenzial nicht einmal im Ansatz voll und ganz aus und das finde ich schade! Wenn die Gerüchte stimmen, dann wird von Velier ja vielleicht etwas kommen, was meinen Wünschen sehr entgegen kommen würde, aber da versuche ich meine Vorfreude noch zu drücken, bis ich einen solchen Rum dann eines Tages vielleicht wirklich mal im Glas habe. Ein richtiges Signal wäre es aber allemal und so kann ich nur einmal mehr an Joy Spence appellieren, endlich den Fuß von der Bremse zu nehmen und Vollgas zu geben! Ich bin sicher, ihr könnt mehr! Der heutige Rum hat das zumindest mal angedeutet. Das ist ein Anfang. Aber noch nicht mehr.

-84/100-


Bis demnächst,
Flo

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