Sonntag, 22. Dezember 2013

"Mai tai roa ae!" - Mythos und Moderne II

Liebe Rum Gemeinde,

sowohl auf meinem alten Blog Mai tai roa ae!, als auch hier auf Barrel Aged Thoughts habe ich mich bereits intensiv mit der Geschichte und der Gegenwart des Mai Tais auseinander gesetzt. Nach einem Artikel, den ich auch hier bereits veröffentlicht habe, der einen groben Überblick über die Geschichte des Mai Tai gegeben und dann vor allem dessen status quo in der Gegenwart beleuchtet hat, folgt heute ein tieferer Einblick in die Geschichte, der vor allem den verwendeten Rum des Ur-Mai Tais beleuchtet, den Wray & Nephew 17 YO, und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Charakteristik des Drinks. Wer auch meinen Vorgänger-Blog schon verfolgte, der weiß, dass ich diesen Artikel in einer früheren Fassung schon einmal veröffentlicht habe. Heute folgt eine überarbeitete, neue Fassung des Artikels. 

Dieser möchte damit beginnen, tiefer in den Bereich des Mythos eindringen. Ich möchte versuchen, den Drink, welchen Trader Vic 1944 erschuf, näher zu ergründen. Was möchte man da noch ergründen, wird vielleicht ein mancher fragen, und das nicht unbedingt zu Unrecht. Die Fakten scheinen klar: wir wissen haargenau welche Zutaten verwendet wurden und in welchen Mengenverhältnissen (vom Limettensaft mal abgesehen, aber den wird auch Trader Vic abgestimmt haben) sie im Drink landeten. Wir wissen auch, wie der Mai Tai zubereitet wurde. Was man aber nicht weiß ist, wie süß oder sauer der damalige Limettensaft war. Wir wissen nicht, wie der Orange Curacao von De Kuyper um 1944 schmeckte. Wir wissen ebenfalls nicht, wieviel Eis Trader Vic verwendete, wie dessen Verwässerungsgrad war und wie lange geshakt wurde. Und wir wissen vor allem nicht, wie der Wray & Nephew 17 YO schmeckte. All das lässt sich aber heute auch nicht mehr sagen. Warum also nachbohren, was soll das bringen?
Um es vorweg klar zu sagen: weil ich am Mai Tai von 1944, so wie man ihn sich heute in Fachkreisen meist vorstellt, erhebliche Zweifel hege. So glaube ich, wie gesagt, zwar nicht, dass man alle Komponenten heute noch 1:1 nachvollziehen kann, aber ich glaube, dass man eine elementare Annahme des Drinks überdenken muss!

Diese Annahme hängt mit dem Rum und dessen Alkoholgehalt zusammen und somit, mit der Charakteristik des Drinks. Verwendet wurde der 17 jährige Rum von Wray & Nephew, endgültig verschwunden in den 50er Jahren. Was wissen wir sicher über den Wray & Nephew? Im Grunde nicht viel, sicher zu sein scheint neben der Lagerzeit von wenigstens 17 Jahren nur, dass es ein Overproof Rum war, mit mehr als 70% vol.. Daher auch die enorme Potenz des Mai Tais. Aber sind diese Informationen verlässlich? Die Grundlage für diese Annahme sind die Flaschen, die bei Appleton vor einigen Jahren aufgetaucht sind und von denen u.a. eine im Merchant Hotel in Belfast landete und dort im Mai Tai verkauft wurde. Diese Flasche hatte ca. 75% vol., andere Quellen sprechen auch "nur" von 60% vol. In jedem Falle geht es dabei aber zweifelsfrei um einen Overproof Rum.
Die Geschichte dieser Flasche ist jedoch unklar: einige Quellen berichten von einem Fass (u.a. Jeff Berry), das gefunden wurde, andere eben von einigen Flaschen (Angus Winchester). Neben diesem Widerspruch, weisen aber auch beide Varianten Ungereimtheiten auf.

1. Wenn ein Fass gefunden wurde, dann war der enthaltene Rum kein Blend mit mindestens 17 Jahren Reife mehr, sondern mit mindestens über 70 Jahren, und ein Alkoholgehalt von 70% vol. oder mehr wäre mehr als unwahrscheinlich. Zudem war der Wray & Nephew 17 Jahre auch sicher keine Single Cask Abfüllung, sondern viel eher ein handelsüblicher Blend, sonst wäre die Menge an Flaschen nicht denkbar. Das heißt, entweder wäre der enthaltene Rum dann nur ein Teil des damaligen Blends gewesen und, vom nun enormen Alter mal abgesehen, entspräche nicht der eigentlichen Abfüllung oder der Fassinhalt entsprach einem bereits vermählten Blend. Aber wieso sollte man diesen dann vergessen? Und auch dieser wäre dann noch über 70 Jahre alt...

2. Und wenn es Flaschen gewesen sind, die gefunden wurden, wieso war ihr Inhalt pechschwarz? Trader Vic beschrieb den 17 jährigen Wray & Nephew ausdrücklich als goldfarbenen Rum und eine Farbenblindheit seinerseits ist nicht überliefert! Auch der zwei Jahre jüngere 15 jährige Blend aus dieser Zeit war deutlich golden in seiner Farbe (doch dazu später mehr!).

3. Das einzige, was denkbar wäre ist, dass der Flascheninhalt zwar der besagte 17 jährige Blend ist, dieser jedoch nicht verdünnt wurde und daher dunkel ist. Dann wäre der originale Rum, mit dem Trader Vic mixte, jedoch auch kein Overproof Rum mehr, aber auch dazu später mehr.

Bis hier hin tun sich also definitiv einige Fragen auf, die ich keineswegs ohne Weiteres eindeutig zu beantworten sehe. Einzig klar scheint mir dadurch, dass es sich bei den Flaschen, u.a. im Merchant Hotel, garnicht um den originalen Wray & Nephew 17 Jahre handeln kann, auch wenn man das bis hier hin nicht hinreichend beweisen kann, da Appleton/Wray & Nephew beispielsweise die Beschreibung von Trader Vic einfach anfechten könnten. An einer Aufklärung dürfte Wray & Nephew/Appleton aber kein Interesse haben, obwohl diese hier definitiv Hilfe leisten könnten.

Links: eine alte Flasche Wray & Nephew 15 Years Old; die
Proof-Angabe befindet sich rechts unten und ist zweistellig
Allerdings gibt es nun noch einen neuen Ansatz, zumindest habe ich in diese Richtung noch nichts anderes gelesen. Ausgang dieses neuen Ansatzes ist ein Bild auf dem Blog von Jeff "Beachbum" Berry (links). Auf diesem Bild ist u.a. eine Flasche vom Wray & Nephew 15 Jahre abgebildet, dem Rum, der Trader Vic im Mai Tai diente, als der ältere Bruder aufgebraucht war. Inwieweit sich die beiden Rums im Detail unterscheiden ist kaum zu sagen, mit Sicherheit kann man jedoch davon ausgehen, dass sie zumindest nicht grundlegend verschieden sind. Das dürfte insbesondere auf den Grundcharakter des Rums, die Farbe und den Alkoholgehalt zutreffen. Was die Farbe betrifft, so ist dieser Rum zumindest schon mal eine ganze Ecke näher dran an dem goldenen Rum, den Vic beschrieb. Das alles ist natürlich nicht neu. Wirklich außerordentlich spannend ist jedoch dessen Alkoholgehalt, den ich nun auf der Flasche entdeckte! Genau zu lesen ist die Angabe auf der Flasche nicht, man erkennt jedoch unter der Spalte in der "Product of Jamaica" geschrieben steht, rechts neben dem Wort "Content" und einer weiteren Angabe das Wort "Proof". Unmittelbar davor ist zweifelsfrei eine zweistellige Zahl zu erkennen (mit viel Fantasie mit einer 8 als erster Ziffer), was bedeutet, dass der Rum allerhöchstens 99 Proof, 49,5% vol. beinhaltet. Um das aber ganz genau sagen zu können, habe ich Kontakt mit Jeff Berry aufgenommen, der mir dazu gerne Auskunft gab. Er bestätigte mir für den Wray & Nephew 15 Jahre einen Alkoholgehalt von 86 Proof (43% vol.). Den Geschmack des 15 jährigen Rums beschreibt er als fantastisch, die Charakteristik eines dunklen Rums stünde hier sehr in einem Kontrast zu der bernsteinen Farbe des Destillats. Eine Flasche Wray & Nephew 17 Jahre aus den 1940er Jahren hat er aber, nach eigener Angabe, selbst noch nie gesehen und er könne zu einem genauen Alkoholgehalt des 17 YO deshalb nichts definitives sagen.
Damit wäre die weit verbreitete Annahme, der 17 Jahre alte Rum sei ein Overproof gewesen, bereits alles andere als selbstverständlich. Natürlich, man kann nicht zweifelsfrei ausschließen, dass der 17 jährige, im Gegensatz zum 15 jährigen, ein Overproof war, allerdings ist dies unter den gegebenen Umständen nicht sehr wahrscheinlich. Denn die einzige Quelle dafür, der einzige Hinweis darauf, dass er ein Overproof war, sind die bei Appleton aufgetauchten Flaschen/Fässer! Eine, wie ich finde, inzwischen mehr als zweifelhafte Quelle. Aber ohne diese Quelle würde man überhaupt nicht von einem Overproof ausgehen. Wir stehen nun also quasi bei Null. Und von Null an gesehen, spricht viel mehr für einen Rum um 40 bis 45% vol. als für einen mit ca. 70% vol., denn:

1. Die im Anschluss an das Versiegen des 15ers von Trader Vic proklamierte Jamaica-Martinique Kombination erscheint in diesem Licht nachvollziehbarer. Sie könnte dem Original durchaus näher kommen als bisher gedacht, auch wenn ihr sehr wahrscheinlich das gewisse Extra fehlt, dass die Wray & Nephew Rums gehabt haben werden. 

2. Für eine ca. 40-45%-Variante spricht zudem der damalige Partner des Wray & Nephew 15, der Black Heart Jamaica Rum. Dieser weißt einen Alkoholgehalt von 90 Proof, 45% vol. auf. Somit wurden hier zweifelsfrei zwei Rums verwendet, die nicht Overproof waren. Wäre der Originalrum jedoch ein Overproof Rum gewesen, hätte Trader Vic hier sicherlich auch in diese Richtung versucht, eine Annäherung zu schaffen, da die Beschaffenheit eines Drink mit 6 cl Overproof Rum eine völlig andere ist, als bei 6 cl von einem Rum mit ca. 45% vol. Und auch erst nach Versiegen des Wray & Nephew 15 YO ist das übrige Mai Tai Rezept angeglichen worden, d.h. dass weniger Orgeat verwendet wurde. Das alles spricht für eine ähnliche Beschaffenheit von Wray & Nephew 17 YO und 15 YO!

3. Der Drink war sehr erfolgreich! Entscheidend sind hier zweierlei Dinge: zum einen musste der Rum einen moderaten Preis haben, damit ihn eine Bar auch so massenhaft in einem Drink verwenden konnte. Selbst wenn das Trader Vic's damals gehobene Preise hatte, so wird ein Mai Tai, auf heutige Verhältnisse umgerechnet, nicht mehr als 15-20 Euro gekostet haben, was schon sehr viel wäre. Bei diesem Preis kann die Flasche Rum umgerechnet höchstens 30 bis 40 Euro gekostet haben. Für einen 17 jährigen Blend mit 43% vol. durchaus denkbar, aber für einen so alten Rum in Fassstärke? Sehr schwer vorstellbar! 

4. fand der Drink schnell viele Liebhaber! Wer mal versucht hat, einen Mai Tai mit 6 cl Overproof Rum jemandem zu vermitteln, der nicht so häufig gute Cocktails genießt, der wird bestätigen können, dass das nicht immer leicht ist. Bei einem Mai Tai mit 6 cl 45%igem Rum sieht das allerdings schon anders aus, vor allem mit Blick auf's damalige Rezept:

2 oz = 6 cl Jamaika Rum, mutmaßlich mit 40-45%
0,5 oz = 1,5 cl Orange Curacao
0,5 oz = 1,5 cl Orgeat
0,25 oz = 0,75 cl Zuckersirup
1 Limette = 5-6 cl Limettensaft

Auf Cracked Ice geshaked und so ins Glas gegeben.



Dieses Mischungsverhältnis würde einen anderen, ungleich milderen, Mai Tai ergeben, mit einer deutlich geringeren Betonung auf dem Rum und wesentlich höherem Anteil an Süße und Säure. Um aber genau sagen zu können, über was ich hier spreche, habe ich den Drink natürlich kurzerhand bestmöglich nachgemixt. Als Rum wählte ich eine Kombination aus 3:3 Appleton Estate und Clement VSOP, das dürfte dem ganzen laut Trader Vic und Jeff Berry ja am nächsten kommen. Die Restlichen Zutaten habe ich in diesen Proportionen verwendet, auch an Cracked Ice habe ich mich gehalten. Ich habe nicht stur eine Limette verwendet, sondern das Verhältnis angepasst, der Anteil an Limettensaft ist jedoch deutlich höher als in meinem üblichen Mischungsverhältnis, er liegt bei ca. 4 cl. Der Drink ist erwartungsgemäß ein anderer, nur schwer zu vergleichen mit einem Mai Tai, in dem weniger Orgeat und Limettensaft oder gar ein Fassstärke Rum verwendet wurde. Ein Drink, bei dem ich mir vorstellen kann, dass er ein großes Publikum begeistert. Der Rum kommt noch durch, nimmt im Drink aber lange nicht die Rolle ein, die ihm in heutigen Mai Tais zugestanden wird. Er wechselt sich mit seinen Begleitern in der Wahrnehmung der Aromen während des Trinkens ständig ab, geht zeitweise fast unter, seine Begleiter übernehmen definitiv eine zweite Hauptrolle. Das Cracked Ice macht sich zunächst nicht bemerkbar, aber nach 10 Minuten weiß man, warum man den Drink je nach Rum besser auf ganzes Eis schüttelt und dann auch auf frisches Eis straint.
Dieser Drink in der Form ist nicht schlecht, aber eben sehr viel anders. Mir persönlich ist er zu leicht, zu Fancy. Das ist ein anderer Mai Tai, als der, den wir ihn uns heute meist vorstellen.

Soweit so gut. Schön. Was ändert das an einem heutigen Mai Tai? Bringt das irgendwen weiter? Schmeckt ein Mai Tai mit einem tollen Overproof Rum und/oder mit reduzierten Partnern nun deshalb schlechter? Nein! Natürlich nicht. Im Gegenteil: niemand hat behauptet, dass er nicht sogar besser schmecken kann. Aber wie das eben so ist, wenn einen ein Thema wirklich interessiert, dann ist man wissbegierig. Ich persönlich finde Geschichte spannend, nicht nur in dieser Frage, und aus diesem Grund interessiert es mich, von welchem Ur-Cocktail wir eigentlich ausgehen. Mir ging es darum, eine gängige Annahme nahezu zu korrigieren, da ich sie auf Grund von zahlreichen sehr schlüssigen Indizien für falsch halte. Und man sieht hier sehr schön, dass vieles oft im Nachhinein verklärt wird. Oft geht man ja geradezu von einem perfekten Trader Vic's Mai Tai aus, einem Mai Tai, der genau den Geschmack heutiger Kenner entspricht, mit einem perfekten Fassstärke-Rum und wunderbaren Zutaten, bevor der Drink durch seinen Ruhm dann vielerorts zu einem Saftschubserl wurde. Man verweist dabei ebenfalls auf Trader Vic's Barteder Guide, in dem dieser ausdrücklich erwähnt, dass der Rum zu schade sei, um ihn durch Säfte zu erschlagen. Hieraus, in Zusammenhang mit der Flasche von Appleton entstand dann das Bild, dass es sich hier also um einen Overproof Rum handeln musste. Jedoch muss man beachten, dass Cocktails mit viel Saftanteil auch damals schon nicht unüblich waren. In Anbetracht der Indizien würde ich hier also eher sagen, dass Trader Vic von einem Vermixen des Wray & Nephew 17 YO mit 20 cl Ananassaft absehen wollte, als dass es darum ging, dass der Rum den kompletten Drink dominiert.

Ich denke, der Artikel hat zumindest etwas mehr Licht ins Dunkle gebracht, auch wenn der allerletzte, hinreichende Beweis für einen 40 bis 45%igen Wray & Nephew 17 Jahre leider noch fehlt und vllt. auch nie erbracht werden wird, da u.U. keine Flaschen der damaligen Chargen mehr existieren. Aber von den reinen Indizien her, würde ich davon deutlich eher ausgehen, als von einem über 70%igen Rum, für den es letztlich eigentlich gar keinen Anhaltspunkt gibt. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf den ursprünglichen Mai Tai, wie ich in meinem Test festgestellt habe. Dadurch liegt ein Mai Tai mit Appleton/Clement vermutlich doch eher am Original, als einer mit einem Fassstärke Jamaicaner. Aber egal, ob wir irgendwann den Alkoholgehalt des Wray & Nephew 17 kennen oder nicht: es möge jeder seinen Mai Tai so trinken, wie er ihn am liebsten genießt!

Bis dahin, einen schönen 4. Advent und frohe Weihnachten,
Flo

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Bildquellen:

Mai Tai mit Wray & Nephew 15:
http://www.beachbumberry.com/wp-content/uploads/2009/12/maitai-copy.jpg

Flasche Wray & Nephew 17:
http://www.uniquestuff.net/images/wrap_nephew_rum.jpg

1 Kommentar:

Armin hat gesagt…

Vielen Dank für Deine Recherche zu diesem Thema, sie war für mich sehr inspirierend. Auch ich habe mich eingehend mit dem Mai Tai beschäftigt und erstaunliches herausgefunden. Ich habe in Bill Kellys Buch „The Roving Bartender“ einen Hinweis gefunden, demzufolge der Mai Tai weder von Trader Vic noch von Donn Beach stammen kann. Es scheint sich vielmehr um einen alten polynesischen Drink zu handeln. Ausführlich gehe ich darauf in meinem Blog ein: http://bar-vademecum.de/mai-tai/

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