Mittwoch, 25. Dezember 2019

A Decade of Rum: 2010 - 2019

Liebe Rum Gemeinde,

ich wünsche euch ein frohes Fest und möchte euch zu diesem Anlass gerne mitnehmen auf eine kleine Zeitreise! Denn dieser Tage neigt sich nicht nur einmal mehr ein Jahr dem Ende entgegen, sondern ein ganzes Jahrzehnt. Der Übergang von den 2010er Jahren in die 2020er Jahre wird kalendarisch vollzogen und ich möchte diesen Anlass dazu nutzen, einmal auf die Rum-Szene innerhalb der letzten zehn Jahre und damit der ausgehenden Dekade zurückzublicken. Denn zu behaupten, dass sich hier viel getan hätte, wäre noch eine massive Untertreibung! 



Die Rum-Szene wächst!

Zunächst muss ich an dieser Stelle sagen, dass ich das ausgesprochen große Glück hatte, diese Zeit nahezu vollständig aktiv miterlebt haben zu dürfen, da ich bereits entsprechend früh den Einstieg ins Thema gefunden habe. Und tatsächlich sind wir genau damit dann auch schon beim ersten Aspekt, auf den ich unbedingt eingehen muss, denn schon diese Tatsache macht mich innerhalb der Rum Szene, zumindest im Kreise der Connaisseure, zu einem echten Exoten. Warum? Ganz einfach, weil die aller, aller wenigsten, die sich heute mit Single Cask- und Cask Strength Rum auseinandersetzen und sich zu eben jenem Kreise von Connaisseuren zählen, von sich behaupten können zu Beginn des Jahrzehnts schon dabei gewesen zu sein. Ich erinnere mich, dass, als ich 2011 so richtig auf den Geschmack gekommen bin, es hier in Deutschland gerade mal eine kleine Hand voll Menschen gab, die öffentlich Gefallen an den richtig guten Tropfen, abseits der oft flachen, verwechselbaren und gesüßten (ja, kommen wir auch noch zu) Rums fanden. Die allermeisten derer entsprangen der Cocktailszene und so blieb unsere Gruppe damals erst einmal eine ziemliche Randerscheinung, die sich in einem Chatroom eines schon damals vollkommen aus der Zeit gefallenen und nicht mehr gepflegten Cocktail-Forums regelmäßig traf und zusammen Rums verkostete oder über eben jenen Rum philosophierten, den wir noch heute so sehr lieben. Wenn man nach den damals in unserer kleinen Clique gefragten Rums googlete, wie beispielsweise den Cadenheads Cask Strength Abfüllungen oder den Rums von Bristol Spirits, dann fand man in den allermeisten Fällen: nichts. Keine Blogs, die sich umfassend mit dem Thema auseinander setzten, kein breit gefächertes Angebot, eine nur begrenzte Auswahl an Shops mit einer noch stärker begrenzten Auswahl an Rums. Die guten Tropfen der unabhängigen Abfüller waren nur selten darunter. Und auch wenn man über den Tellerrand blickte, nach Europa und in die Welt, so fand man eher keine Mitstreiter, die den eigenen Geschmack zu teilen schienen. Und überhaupt schien Deutschland noch so ziemlich das einzige Land zu sein, in dem man die ganzen guten Rums überhaupt irgendwie bekommen konnte. Wenn ich ebay Frankreich, Italien oder Großbritannien durchsuchte nach Jamaica Rum, dann fand ich Appleton, manchmal noch Coruba oder Sangster's - das war's!



Bei so geringen Möglichkeiten und Chancen mit der Materie in Berührung zu kommen, war es also gewissermaßen pures Glück, dass ich eine der wenigen Gelegenheiten erfassen konnte, in diese Szene reinzurutschen und dafür bin ich bis heute sehr dankbar. Damals allerdings war es auch immer wieder frustrierend, denn in mir war ein immenser Drang das eigene Wissen immer mehr zu erweitern und das war, gelinge gesagt, schwierig. Es zeichnete sich bei Hampden beispielsweise ab, dass sich die einzelnen Abfüllungen im Estergehalt voneinander unterschieden, aber in welcher Weise, wie das definiert war, woran man das erkennen konnte... zu all dem gab es damals noch keinerlei Informationen. Es gab die Mark-Angaben auf den Cadenhead-Labeln, die das damals als einzige gemacht haben. Das wars! Das aber weiterzuverfolgen, Informationen zu sammeln, zu sortieren, daraus Schlüsse zu ziehen, das Wissen zu erweitern... eine unfassbar aufwendige Arbeit damals! Heute bin ich dafür dankbar, denn ich glaube, ich hätte vieles niemals so sehr verinnerlicht, wenn ich es einfach irgendwo mit ein paar Klicks hätte nachschlagen können, aber damals habe ich das oft verflucht. Nichts desto weniger, wir leisteten damals echte Pionier-Arbeit und auch deshalb haben Leo, Marco und ich damals auch Barrel Aged Thoughts ins Leben gerufen, um all diesen Informationen eine Plattform zu geben, Wissen zu speichern und weitergeben zu können und das macht mich heute definitiv auch stolz.
Ergattert 2012 in München beim Whiskyshop tara:
Bristol Jamaica Blend für 125,- Euro
Die Saat war also in der Erde, aber ehe die Früchte unserer Arbeit damals geerntet wurden verging noch einiges an Zeit. Die Gruppe an Conaisseuren wuchs langsam aber sicher und mit der Zeit wuchs auch die Bereitschaft, mehr Geld für Rum auszugeben (auch dazu gleich noch mehr). Auf diesem Wege gewann der Abfüller Velier ab 2012 sehr schnell an Bedeutung, der danach das Jahrzehnt prägen sollte wie kein anderer sonst, nicht einmal annähernd. Bis dahin kauften wir in der Mehrzahl alte Bottlings längst vergangener Tage, zum Teil noch abgefüllt in den 1990er Jahren, etwa von Cadenhead und Bristol, die man mit etwas geschickter Suche zu diesem Zeitpunkt auch noch häufig finden und ergattern konnte. So genannte Shopleichen gab es reichlich und wir kauften diese noch ganz bequem und zu Preisen, die heute wie ein Witz anmuten. Das war dann ab 2013 ca. vorbei. Die Rum Szene wuchs plötzlich immer schneller, auch Europaweit und Weltweit. Plötzlich kamen z.B. auch die Menschen in Frankreich auf den Geschmack, die sich bis dahin sehr auf den Agricole konzentriert hatten, dessen Originalabfüllungen in ihrer Qualität denen aus anderen Ländern um Längen voraus waren! Velier wurde immer bedeutender, und als die Demerara Bottlings nicht mehr zu bekommen waren und im Preis massiv stiegen, wurde sich auch über Caroni hergemacht, welches bis dahin ein doch eher stiefmütterliches Dasein fristete. Auch hier stiegen die Preise dann horrend und die Zeitspannen, innerhalb derer neue Bottlings ausverkauft waren wurden immer kürzer bis hin zu wenigen Minuten oder Sekunden. Heute ist also vieles anders. In die Szene hineinrutschen? Alles gar kein Problem mehr! Via facebook landet man da inzwischen direkt in den einschlägigen Gruppen und kommt dann, wenn man persönlich denn möchte, auch mit dem guten Stoff in Kontakt. Dabei ist es heute auch egal, aus welchem Land man kommt. Die Szene ist international aufgestellt. Häufig treffen sich Menschen rund um den Erdball zum Thema Rum auf inzwischen unzähligen Messen. 2010 gab es das UK Rumfest und dann ganz neu das Rum Fest in Berlin. Heute dürften die Messen in Paris, London, Rom und Spa zu den wichtigsten zählen, auf denen regelmäßig Rums präsentiert werden, die es z.B. noch gar nicht im Handel gibt. Die Masse an Connaisseuren ist riesig, größer, als ich es mir noch vor 10 Jahren hätte vorstellen können, und ich bin stolz sagen zu können, dass ich mit BAT definitiv auch einen eigenen, begünstigenden Anteil daran hatte, der diese Entwicklung mit ermöglicht hat.


Angebot und Preise steigen!

Nachdem ich aufgezeigt habe, in welch kaum zu überblickenden Ausmaß die Nachfrage an qualitativ hochwertigem Rum in den letzten zehn Jahren gestiegen ist, weil nämlich die Anzahl an Connaisseuren immer größer wurde und noch immer wird, liegt es nahe, dass sich das auch auf das Angebot an Rum ausgewirkt hat und letztlich dann auch auf die Preise des angebotenen Rums. Und auch hier müssen letztendlich dann schon beinahe Superlative bemüht werden, um die Entwicklung einigermaßen darzustellen. Wenn ich an meine Anfangszeit in der Szene zurückdenke, dann habe ich bei einigen Rums direkt noch immer die Preise vor Augen, die, das ist vielleicht unumgänglich, teils bis heute auch noch immer eine Art Kompass für mich darstellen, anhand dessen ich für mich abwäge, als wie günstig oder wie teuer ich einen Rum empfinde. Die Cadenhead's Cask Strength Bottlings z.B., die damals, zumindest unter Nerds, sehr gefragt waren, weil es ansonsten kaum etwas anderes in Fassstärke auf dem Markt zu kaufen gab, kosteten meist so um die 50,- Euro, außer die älteren Rums mit ca. 20 Jahren Reife und mehr. Die Rums von Bristol Spirits, die zwar verdünnt, qualitativ aber meist auch immer in der Top Liga spielten, waren dagegen schon etwas teurer, aber auch hier kosteten sehr alte Rums meist nicht wesentlich mehr als hundert Euro. Zum Vergleich: da fangen die guten Rums heute inzwischen oft erst an!
Kostete 2012 noch 25,- Euro: PM aus 1988
Wenn ich heute Menschen die erst später zur Rum-Szene dazu stießen erzähle, dass wir vor einigen Jahren noch viele alte Bristol Abfüllungen für Preise zwischen 25,- und 40,- Euro gekauft haben, können die das häufig gar nicht glauben. Doch wie immer, wenn etwas beinahe zu schön erscheint um wahr zu sein, gibt es ja häufig noch einen Haken und den gibt es auch hier. Das Angebot nämlich bestand damals nicht selten aus Altbeständen von vor fünfzehn bis zwanzig Jahren abgefüllten Bottlings, die noch immer erhältlich waren, weil Bristol und Cadenheads z.B. einen Markt belieferten, den es so damals noch gar nicht gab. Sie waren ihrer Zeit voraus. Das führte dazu, dass z.B. diese beiden Abfüller zu jener Zeit schon gar nicht mehr so produktiv waren, wie sie das noch viele Jahre zuvor waren. Wir kauften damals vielfach Reste. Aktuelle Bottlings waren seltener. Und wenn etwas kam, dann meist verdünnte Rums mit ca. 46% vol.. Und an der Stelle muss ich dann aber mal eindeutig eine Lanze für jene Bottler von einst brechen, zu denen Cadenhead und Bristol damals auch beispielsweise Samaroli oder Velier/Luca Gargano zählten. Sie alle sahen die Qualität und das unglaubliche Potenzial das Rum hatte, Jahre bevor es dazu überhaupt eine breite Käuferschicht gab. Das ist wirklich sehr außergewöhnlich. Angebot ohne Nachfrage. Dementsprechend waren damals aber natürlich auch die Preise im Keller. Und obwohl auch die Velier Abfüllungen damals aus heutiger Sicht überhaupt nicht teuer waren, so wurden sie lange Zeit dennoch eher wenig beachtet unter den Connaisseuren, da es Fassstärke Demerara auch von Cadenhead gab und diese viel günstiger waren und sich für Caroni überhaupt niemand interessierte (ich habe Skeldon noch für ca. 100-150,- Euro bei Old Whisky gesehen! - aber nicht gekauft...). Hierbei ist zu beachten, dass es zu diesem Zeitpunkt für das Alleinstellungsmerkmal Veliers, die tropische Reifung, noch keinerlei Gefühl und Bewusstsein gab. Das waren nichts weiter als Randnotizen und so wurden diese damals häufig noch wenig beachtet und das Geld eher in günstigere Bottlings gesteckt. Erst mit der Zeit wurden die alten Demeraras von Velier und die geschmackliche Besonderheit der tropischen Reifung entdeckt. Hier ist vor allem das Jahr 2013 zu nennen, als Velier durch DDL vom Nachschub abschnitten wurde. Nun ging es relativ schnell und der italienische Abfüller startete seinen beispiellosen Siegeszug, hin zum zweifellos bedeutendsten und einflussreichsten Bottler der 2010er Jahre, im Zuge dessen dann auch die geschlossene Destillerie Caroni noch zu ihrem späten Ruhm kam.

Einer der besten der alten Velier Demeraras: Albion 1986! 
Neue Abfüller betraten ab 2012 den Markt... 


Parallel dazu wurde auch an anderer Stelle bemerkt, dass zu Rum plötzlich eine Nachfrage bestand und so begannen auch vermehrt andere unabhängige Abfüller damit, zumeist aus dem Whisky-Segment, Rum anzubieten. Zu nennen sind hier A.D. Rattray, Duncan Taylor, The Whisky Agency, The Rum Cask oder Isla Del Ron, die, im Gegensatz zu vielen der schon früher aktiven Bottler wie Berry Bros. & Rudd, Murray McDavid oder den hier schon mehrfach genannten (Bristol, ...) aber auch die Zeichen der Zeit bereits so weit erkannten, dass sie nicht nur ebenfalls Rum anboten, sondern noch weiter gingen und diesen in Fassstärke auf den Markt brachten. The Rum Cask gingen dabei sogar soweit, dass sie mich damals im Jahr 2013 mit an Bord holten, einerseits um selbst stärker in die Materie zu kommen (die Jungs kamen ebenfalls aus der Whisky Ecke) und andererseits, um sich bei der Fass-Auswahl helfen zu lassen, damit man den Geschmack und den gewachsenen Anspruch der Connaisseure möglichst genau treffen konnte. Daraus resultierten die "Recommended by Barrel Aged Thoughts" Bottlings. Mitwirken zu können bei Bottlings... nicht mehr allein hoffen zu müssen, dass was gutes kommt... Einfluss nehmen zu können, es ein Stück weit selbst in der Hand zu haben... Wunschlisten an den Abfüller weitergeben zu dürfen... Das war sehr außergewöhnlich und bei vielen Stilen kam das damals einer Sensation gleich, was heute so normal wirkt. Es kann sich im Jahr 2019 ja kaum noch einer die immer währende Ernüchterung vorstellen, die mich überkam, wenn wieder mal ein neuer Hampden erschien und dabei die immer gleichen verwässerten 46% vol. aufwies.
Heute hat sich das glücklicherweise radikal und zum guten gewandelt! Natürlich hat das aber alles seinen Preis. Die Nachfrage stieg immer mehr, das Angebot zog nach und kam den Wünschen der Connaisseuren dabei immer mehr entgegen. Das ließ auch die Preise stiegen, zumal Rum, äquivalent zum Whisky, von einigen als Spekulationsobjekt entdeckt wurde. Letzteres betraf und betrifft insbesondere die Demerara- und Caroni-Abfüllungen Veliers, die in dieser Form einzigartig und unerreicht sind und in der Form auch nicht mehr reproduzierbar. Aber natürlich strahlte das auf den gesamten Markt ab, weswegen die einst magische Grenze von hundert Euro, über die man nur für ganz besondere Sachen drüber ging, heute fast schon eher als die Grenze zum Einstieg in den guten Stoff bezeichnet werden muss, während für die sehr besonderen Sachen dann gerne auch mal 300-500,- Euro aufgerufen werden. Das wiederum sind Summen, die wurden vor zehn Jahren für genau drei Bottlings aufgerufen, die mir spontan einfallen: den Gordon & MacPhail Long Pond 1941 Jamaica Rum, den Black Tot und den El Dorado 25 YO. Zwei davon waren dieses Geld aus heutiger Sicht locker wert, aber gekauft habe ich damals leider keinen der beiden. Beim 1941er bereue ich das sehr!
Meine erste Flaschenteilung (2011)
Ein herrliches Zeugnis über die Veränderung legen auch Flaschenteilungen ab. Zu Beginn des Jahrzehnts nämlich, waren Flaschenteilungen noch eher selten. Das lag vor allem daran, dass für jeden mehr als genug ganze Flaschen da waren und auch daran, dass diese erschwinglich waren. Nicht zuletzt lag das aber auch in der verschwindend kleinen Zahl an Connaisseuren begründet, so dass Teilungen schwerer zustande kamen. Auch das wurde ab 2012/2013 erst mehr. Heute hingegen sind Flaschenteilungen oft der einzige Weg überhaupt dieses oder jenes überhaupt einmal probieren zu können, da man an eine ganze Flasche entweder nicht dran kommt oder sich diese auch nicht immer leisten kann. Längst reicht das Geld bei den allermeisten von uns nicht mehr dafür, sich jeden Rum kaufen zu können der rauskommt und manche Rums sind da auch ganz individuell einfach zu teuer, wenn sie mal eben ein paar hundert Euro kosten. Und so laufen heute täglich unzählige Teilungen auf verschiedenen Netzwerken. Wahnsinn!


Veränderter Anspruch... 

Anno 2010: Meine allererste Rum-Bestellung... 🙈 
Richtig guter Rum... vor ca. zehn Jahren konnte einem dazu auf der Straße nahezu niemand eine Antwort geben. Am ehesten wären wohl noch die Namen Bacardi oder Havana Club gefallen. Fragte man dann in Insider-Kreisen nach, so gab es da im Normalfall dann aber nur eine Antwort: Zacapa! Wer vor zehn Jahren meinte, sich wirklich mit Rum auszukennen, der landete bei den Bast-Flaschen aus Guatemala und wähnte sich angekommen im Rum-Olymp. Und auf dem Weg dahin, es soll ja Step by Step gehen, führte dann kein Weg an Diplomatico, Millonario, Centenario und Pyrat vorbei. Diese Marken sagten aber den meisten Menschen damals noch nichts und zu kaufen gab es diese zumeist auch nur im Netz. Wenn ich sehe, dass ich diese heute auch vielfach im Supermarkt bekomme, dann wird mir dann immer erst so richtig klar, wie sehr Rum heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie Mainstream er geworden ist, im Vergleich zu damals. Angefangen habe auch ich mit diesen Rums, das kann und möchte ich nicht leugnen. Wahr ist aber auch, dass ich ziemlich schnell durch Rums wie Appleton V/X und dann einen Hampden von Cadenhead gemerkt habe, was wirklich gutes Zeug ist, und wo ich in Bezug auf Rum stehe. Ziemlich offensichtlich war schon damals, auch wenn das zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell bekannt war, dass die Hersteller bei den ganzen so genannten Süßrum-Marken nachgeholfen haben, zumindest mal mit Zucker. Denn diese Rums waren derart süß, dass klar war, dass eine solche Menge Zucker kein Destillat nach dem Brennvorgang noch enthalten kann. Und ja, das habe ich auch damals durchaus schon offensiv angesprochen, beispielsweise in diversen Foren, allerdings ist das zu diesem Zeitpunkt noch auf ziemlich taube Ohren gestoßen. Viele wollten es nicht wissen, sahen ihre Lieblingsrums diffamiert und ja, ich gebe es zu, ich bin damals auch nicht gerade diplomatisch vorgegangen. Das lag daran, dass ich den guten und ehrlichen Rum durch diese Etikettenschwindelei beleidigt sah und ich nicht verstehen konnte, dass nicht noch mehr Menschen das offensichtliche zu sehen bereit waren, geschweige denn sich ebenfalls darüber aufregten. Ich wollte Aufklärungsarbeit leisten, Menschen den ehrlichen Rum näher bringen. Bis Mitte des Jahrzehnts etwa stieß ich damit mehrheitlich auf Ablehnung. Dann kamen die ersten offiziellen Messergebnisse aus Skandinavien und später der ganzen Welt, die endlich in Zahlen bewiesen, was längst klar war: die meisten der originalabgefüllten Rums sind gesüßt! Wie sehr gesüßt, hat dann aber zum Teil sogar mich anfangs noch überrascht. Derartige Mengen hielt ich eigentlich für undenkbar. Auch fand ich es krass, dass selbst Marken wie El Dorado hier keine Ausnahme darstellten. Von nun an galt Zucker im Rum als Tatsache, die nicht nur von ein paar Nerds proklamiert wurde, sondern die bewiesen war. Und mit einigen Jahren Verzögerung setzte nun auch, endlich, eine Welle der Empörung ein. Diese reichte so weit, dass ich heute Menschen kennenlerne, die sich zwar kaum mit Rum auskennen, aber dennoch im Wissen stehen, dass da nachgeholfen wird. Da hat sich also in nur wenigen Jahren wirklich wahnsinnig viel getan! Heute sehe ich selbst das Thema indes lockerer als andere und deutlich lockerer als damals. Das Wissen ist da. Es ist an breiter Basis vorhanden. Und das ist mir wichtig. Ich möchte niemandem vorschreiben, was er trinken soll. Erlaubt ist, was schmeckt. Einzig: ich bin, und an der Stelle rigoros wie eh und je, ganz klar für eine Pflicht zur lückenlosen und eindeutigen Deklarierung! Wenn Zucker oder andere Stoffe zugegeben wurden, dann gehört dies als zusätzliche Angabe auf's Label, ohne Wenn und Aber! Und es freut mich zu sehen, dass wir auch in dieser Hinsicht immer weiter Fortschritte beobachten dürfen. Da läuft bereits vieles in die richtige Richtung und das ist gut so!


Tropisch oder kontinental? Das ist hier die Frage!

Anno 2012: 17 YO tropisch gereifter Long Pond von RA, 
sechs Jahre bevor Velier im Jahr 2018 seine Long Pond-
Serie startete 
Das große Thema zum Ende des Jahrzehnts ist ganz sicher jenes der Reifung, genauer gesagt dem Ort der Reifung. Zu Beginn des Jahrzehnts hat dieses Thema noch im Grunde niemanden interessiert. Rum reifte, wenn er Original abgefüllt wurde, in der Karibik, und wenn er von unabhängigen Abfüllern kam, dann kontinental - bis auf wenige Ausnahmen, wie der LPS Long Pond Single Rum 1993 von RA bewies, was aber bei Release 2012 ebenfalls nicht wirklich interessierte. In meinem Review von einst habe ich den Ort der Reifung z.B. zwar erwähnt, das allerdings wie beiläufig, nicht um den Rum herauszuheben. Es war erst einmal ein simpler Fakt, an dem sich aber niemand gestoßen hat. Niemand fragte nach Angel's Share, niemand fragte nach geschmacklichen Unterschieden. Das änderte sich erst, je stärker der Abfüller Velier an Bedeutung gewann. Luca Gargano ist weniger klassischer Rum Nerd, denn italienischer Lebemann mit Hang zur Karibik und zum Rum. Soll heißen: für ihn ist Rum nicht nur Ware, sondern auch Lebensart und Lebensgefühl. Große Teile seines Lebens verbrachte er in der Karibik und baute sich Netzwerke auf, von denen er, auch wirtschaftlich natürlich, bis heute profitiert. Für ihn gibt es Rum nur und ausschließlich aus der Karibik und alles andere fühlt sich für ihn, vollkommen unabhängig von der Qualität, falsch an. Daher plädiert er seit vielen Jahren für eine ausschließlich tropische Reifung von Rums und argumentiert in dieser Frage bisweilen auch sehr radikal bis sogar dorthin, dass Rums, die an anderer Stelle gelagert wurden, gar keine Rums entsprechender Produktionsstätten mehr seien. Letzteres geht mir und anderen dann aber doch entschieden zu weit. Denn obwohl seine Demeraras und Caronis bewiesen, dass man mit tropischer Lagerung in geschmacklich vollkommen neue Dimensionen vorstoßen kann, so zeigt sich gerade bei Hampden z.B., dass die Ergebnisse nach kontinentaler Reifung bisweilen noch überzeugender sind als jene durch tropische Sonne. Nichts desto weniger ist abzusehen, dass genau dieses Thema auch die nächsten Jahre des neuen Jahrzehnts noch beschäftigen wird und auch sehr unter dem Einfluss neuer nationaler (und vielleicht auch internationaler?) Gesetzgebungen stehen wird. Wenn GI-Gesetze inkraft treten, dann wird das Auswirkungen auf die gesamte Rum-Szene haben, die in vollem Ausmaß jetzt noch gar nicht abzusehen sind. Auf der einen Seite ist dabei natürlich verständlich, dass die Destillerien gemerkt haben, auf was für Schätzen sie teilweise sitzen und nun natürlich möglichst viel vom Kuchen selbst abbekommen möchten. Aber auf der anderen Seite bleibt natürlich der fade Beigeschmack, dass man dort eben vor allem auch gemerkt hat, wie wenig Zeit, Geld und Mühe man letztlich selbst in sein teures Gut investiert hat, wodurch es erst möglich wurde, dass andere, sprich europäische Broker und Bottler, das Potenzial entdeckten und nutzten. Dabei sollte man genau jenen sehr dankbar sein, denn nicht selten haben sie den guten Ruf ganzer Destillerien erst errichtet, die man, ohne die unabhängigen Abfüller, heute gar nicht kennen würde. Dazu zählen beispielsweise Long Pond oder Hampden, aber auch andere Destillerien, die nie selbst Rum abgefüllt, sondern diesen immer nur als Bulk verkauft hatten. Ich kann verstehen, dass man seine Strategien da nun ändert, aber liebe Destillerien und auch lieber Luca, versucht da jetzt bitte keine Geschichte umzuschreiben. Kontinentale Reifung IST Teil der Geschichte von Rum, die sich in diesem Punkt nun einmal erheblich von Whisky oder Cognac unterscheidet, und alles andere wäre nichts als Revisionismus. Ich denke, dass beide Formen der Reifung ihre Vorzüge und Nachteile in sich tragen und dass es hier kein richtig und kein falsch gibt. Beide haben ihre Berechtigung und sollten friedlich nebeneinander co-existieren, ohne, dass eines über das andere gestellt werden sollte. Aber wie gesagt: diese Frage wird uns wohl noch einige Jahre beschäftigen...


Epilog:

Ihr seht... die gesamte Rum Szene hat sich in den vergangenen zehn Jahren so stark verändert wie zuvor noch nie. Sie ist, zumindest wenn wir den High Quality Bereich nehmen, im Grunde sogar erst in dieser Zeit wirklich entstanden. Wer diese Zeit in Gänze miterlebt hat, der kann sich eigentlich nur immer wieder verwundert die Augen reiben. Selbst dieser Text, ich hoffe, möglichst viele von euch haben ihn auch in Gänze lesen können, gibt all das nur sehr unzureichend wieder und sicher habe ich das eine oder andere auch vergessen. Gerne dürft ihr mir schreiben, wenn es etwas gibt, was eine Erwähnung noch auf jeden Fall verdient hätte.

Die Tage werden ich euch dann hier noch meine Top Rums des letzten Jahrzehnts präsentieren, denn meine Top Rums aus 2019 werdet ihr in Kürze an anderer Stelle noch zu lesen bekommen. Da werden ich aber noch nicht zu viel verraten.

Bis dahin und ein frohes Weihnachtsfest,
Flo

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo,

jetzt hast du uns ganz gespannt auf deine top 10 der vergangenen Dekade gemacht und wir warten geduldig auf die Auflösung. Wann löst du die Spannung und lässt uns an deiner Auflistung teilhaben? =)

Flo hat gesagt…

Huhu,

die Auflösung gab es einige Tage später hier:

https://barrel-aged-thoughts.blogspot.com/2019/12/my-top-10-rums-2010-2019.html

Mit besten Grüßen
Flo

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