Sonntag, 5. Juli 2020

RA Jamaica Rum 25 YO New Yarmouth 1994

Liebe Rum Gemeinde,

in den letzten Wochen verdichteten sich bereits die Hinweise auf einige neue Releases lange tropisch gereifter Rums, die nicht von Velier kommen, doch nun wird es ganz konkret: als erster dieser unabhängigen Abfüller bringt die Heinz Eggert GmbH unter dem Label Rum Artesanal (RA) ein Small Batch Release eines 25 Jahre tropisch gereiften New Yarmouth Jamaica Rums aus 1994 an den Start!


Doch erst einmal der Reihe nach! Um zu verstehen inwieweit dies etwas besonderes ist, muss man sich die Marktlage der letzten Jahre vor Augen führen. Hier zeigt sich, dass zum einen tropisch gereifte Rums grundsätzlich erst einmal rar sind, zum anderen aber Velier unter den unabhängigen Abfüllern mehr oder weniger das Monopol auf tropisch gereifte Rums inne hat. Durch diese Tatsache schufen sie sich über Jahre eine Ausnahme-Stellung am Markt! Denn alle anderen unabhängigen Abfüller waren und sind mehr oder weniger auf Scheer ( und die dazugehörige Main Rum Company (MRC)) und andere Broker angewiesen, die Rum meist als frischen Bulk bekommen und dann in Europa kontinental reifen lassen, weshalb sich die IB im Wesentlichen aus dem gleichen Pool an Fässern bedienen. Diese Tatsache führt dazu, dass bei den Abfüllern normalerweise die immer gleichen Jahrgänge und Batches der selben Destillerien gebottled werden und Überraschungen eher selten sind. Velier hingegen kann seinen Kunden seit vielen Jahren Rum offerieren, den man in dieser Form sonst nirgendwo sonst bekommt. Denn weder werden bestimmte Marks bisher von europäischen Bulkhändlern geführt, noch ist das Angebot an tropisch gereiftem Rum in größerem Maßstab vorhanden. An der Stelle ist Velier der Konkurrenz in puncto direkte Kontakte in die Karibik etc. einfach voraus. Daraus ergibt sich die Situation, dass es zu deren Produkten niemals direkte und vergleichbare Konkurrenz-Bottlings gibt. Niemand sonst hat einen tropisch gereiften <>H Hampden oder 1996er HTR Caroni. Zu Bottlings der anderen IB hingegen gibt es fast immer vergleichbare Bottlings, denn einen kontinental gereiften Hampden 2000 oder einen Caroni 1997 hatte schon fast jeder im Portfolio. Man möge mich an der Stelle nicht falsch verstehen, ich möchte hier keine generelle Höher- oder Geringstellung einer Reifung vornehmen, es geht mir rein um die Situation am Markt und die Tatsache, dass die Konkurrenz jeweils nicht vergleichbar ist. Bei den meisten IB ist sie groß, bei Velier nicht vorhanden. Doch während das bisher als sehr zementiert galt, tut sich aktuell etwas, zumindest mal für einen kleinen Augenblick.



Denn wie es der Zufall so will, hat sich ein Jamaicanischer Broker vor einiger Zeit dazu entschlossen sich von seinem Stock oder zumindest einem Teil davon zu trennen und damit 100% tropisch gereiften Jamaica Rum verschiedener Destillerien in Umlauf gebracht, der bisher nicht abrufbar war. Dem Vernehmen nach verkaufte der Broker seinen Stock an J. Wray & Nephew, die diese Fässer ihrerseits wiederum an Velier als auch Scheer/MRC verkauften. Durch die Releases verschiedener IBs ergibt sich inzwischen auch langsam ein Bild, welche Fässer dieser Stock beinhaltete. So bringt Silver Seal z.B. in Kürze einen 1984er Monymusk auf den Markt und Hidden Spirits wird einen Monymusk 1995 bringen. Beide Jahrgänge waren auch schon bei Velier zu bestaunen (EMB 1995), bzw. werden es noch sein (MMW 1984). Wo man bisher demnach noch dachte, dass Velier einmal mehr Exklusiv-Anbieter ist, zeigt sich nun, dass dem nicht vollumfänglich so ist. Hier wird also eine direkte und unmittelbare Vergleichbarkeit gegeben sein, da die Rums aus der gleichen Quelle kommen! So richtig spannend wird es aber erst jetzt, denn verschiedene Abfüller haben auch einen New Yarmouth aus 1994 angekündigt, von denen RA in der kommenden Woche die ersten sein werden, die ein solches Bottling auf den Markt bringen!

Und dieses ist gleich in mehrerlei Hinsicht extrem interessant! Denn zum einen, und dazu muss ich leider spoilern, dass der Rum ein Appleton Profil hat, sind RA damit die allerersten, die einen lange gereiften Rum aus dem Hause J. Wray & Nephews anbieten, der aus Produktionen stammt, die ziemlich sicher für die Blendung der Appleton Rums vorgesehen war und zum anderen ist ja bereits bekannt, dass Velier auch u.a. einen 1994er Appleton am Start haben wird, weshalb sich natürlich auch hier die Frage aufdrängt, ob die Fässer vergleichbar sind. Momentan spricht noch vieles dagegen, da RA das Brennverfahren mit Column Still angibt, während Luca Gargano 100% Pot Still Appletons offerieren wird, die auch direkt von Appleton stammen und nicht den Umweg über New Yarmouth gegangen sein sollen. Aber letzten Endes wird die Frage freilich erst beantwortet werden können, wenn Luca seine Rums released hat, da zur abschließenden Klärung ein direkter Vergleich beider Rums nötig ist, der aktuell eben noch nicht vollzogen werden kann. So oder so, spannend finde ich diese Gesamt-Entwicklung allemal!


Insofern kann man Eggert/RA und auch Dominik an dieser Stelle nur zu diesem besonderen Coup gratulieren, und darum möchte ich auch gar nicht weiter drum herum reden, sondern dem 25 Jahre alten Rum Artesanal New Yarmouth 1994 die Bühne überlassen und direkt zur Verkostung übergehen. Bedanken möchte ich mich allerdings zuvor noch für die zu Foto- und Verkostungszwecken erhaltene Flasche, dies sei auch zum Zwecke der Transparenz an dieser Stelle gerne erwähnt. Auf meine sensorische Wahrnehmung hat dieser Prozess selbstverständlich keinerlei Auswirkungen. So, und nun: Action!


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Verkostung des RA Jamaica Rum 25 YO New Yarmouth 1994:

Preis: für 149,90 Euro kann eine Flasche 0,5 Liter bezogen werden. 

Alter: der Rum wurde im November 1994 destilliert und im Juni 2020 abgefüllt. Damit ist er mehr als 25 Jahre alt. 

Lagerung: die Fässer lagerten die gesamten >25 Jahre über auf Jamaica. 

Fassnummern: die Fässer #203 und #204 ergaben zusammen 709 Flaschen a 0,5 Liter. 

Angel's Share: keine gesicherten Angaben möglich, da Fässer gleicher Produktion in den Tropen immer wieder zusammen geschüttet werden, damit der Verlust nicht noch größer wird als ohnehin schon. Dadurch sind Single Casks tropisch gereifter Rums keine Single Casks im eigentlichen Sinne. Die Angabe eines Angel's Shares ist also nur möglich, wenn man die ursprünglich vorhandene Menge an Fässern kennt, die zum betreffenden Batch geführt haben. 

Alkoholstärke: stolze 67,7% vol. weist der Rum nach 25 Jahren tropischer Reifung noch auf - Barrel Proof! 

Destillationsverfahren: laut Backlabel wurde der Rum auf einer Column Still gebrannt. 

Mark: auf den Fässern befindet sich das Mark NYE / CS C.

Farbe: tiefes Mahagoni. 

Viskosität: leider ist das bei den Glencairn Gläsern nicht gut zu beobachten, da verläuft schon alles ziemlich ineinander. Im Ballonglas zeigt er aber weite, parallele Schlieren, die anfangs träge und dann doch recht zügig am Glas zurücklaufen. 

Nase: nach ca. einer Stunde des Atmens habe ich eine volle, reichhaltige, komplexe, warme und eindeutig zu Appleton Rums tendierende Nase! Der Alkohol ist hervorragend eingebunden, ich habe keinerlei Schärfe in der Nase. Im Gegenteil, selbst wenn ich die Nase direkt ins Glas halte kann ich problemlos tief einatmen. Wenn ich das mache, strömt mir ein unglaubliches Bouquet entgegen. Wow, in diesem Potpourri ist alles drin! Ich habe minimale Ester mit seinen Klebstoffen und Lösungsmitteln und dazu fruchtige Anklänge von z.B. grünem Apfel, Mango oder Papaya, aber auch einen stark würzigen Part mit Pfeffer und Muskatnuss. Darüber hinaus habe ich leicht nussige Assoziationen. Ich finde eine natürliche Süße, die mich an Rosinen und vor allem sehr dominant an Karamell erinnert, ebenso wie deutliche Einflüsse vom Holz in Form von Tanninen oder Bourbon Vanille. Die deutlichste Assoziation dazu ist, wie gesagt, Appleton, aber würde ich blind probieren, könnte ich sicher auch auf einen Demerara Rum tippen. Das ist ganz stark und großes Tennis! 

Gaumen: am Gaumen gibt sich der Rum zunächst noch etwas biestiger als in der Nase. Der bellt nicht nur, der beißt auch zu! Hier machen sich die nahezu 68% vol. schon bemerkbar und man muss den Tropfen im Mund erstmal bändigen. Erinnerungen an Velier Demerara Rums kommen hier auf, bei denen mir das auch häufig auffällt. Tropisch gereifte Rums sind selten die ganz weichen Vertreter. Ansonsten fällt sofort auf, wie sehr mundfüllend dieser Rum ist! Wahnsinn! Nicht in der Form, wie es eine Ester-Bombe a la Hampden ist, sondern ganz anders. Wärmer, weniger explosiv. Dazu gesellt sich etwas Holzlack und diese typische Note tropisch gereifter Rums, die ich bei diesen Vertretern häufig finde. Dazu kommt etwas Süße, Karamell, frisch geschnittenes Geäst und trockeneres Holz. Der Gaumen ist etwas weniger komplex als es die Nase war und deutlich auf der trockeneren Seite stehend. Nach hinten raus ist da sehr viel Anis, was für lange gereifte Rums ja sehr typisch ist. Erinnert hier teilweise auch an alte tropisch gereifte Demerara Rums. 

Abgang: frisch geschnittenes Geäst, Anis, trockener werdend, leichte Bitterkeit, die dann zunimmt. Tannine. Hier kommt das Alter doch zum tragen. Nach hinten heraus Kaffee und Röstaromen. Ansonsten typisch Appleton. Es sind vor allem die Eindrücke an die bekannten Rums dieses Estates, die verbleiben. 

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Small Batch vs. Ur-Sample
Fazit: sehr stark! Insbesondere Appleton Fans und Freunde tropisch gereifter Demerara Rums kommen heute natürlich voll und ganz auf ihre Kosten! Wenn ihr euch da angesprochen fühlt: das ist euer Tag heute! In der Filmbranche hätte man in diesem Zusammenhang wohl von Fan Service gesprochen - bloß, um sich zwischendurch dann doch noch immer mal wieder verwundert die Augen zu reiben, darüber, was da eigentlich gerade passiert. 100% tropisch gereifter Appleton, 25 Jahre alt und das ganze nicht mit 40, nicht mit 43, nicht mit 45% vol., nein, in Fassstärke mit 67,7% vol!! Und das ganze zu einem Preis, den man für einen Rum dieser Kategorie eigentlich schon kaum noch für realistisch gehalten hat. Insofern kommt hier schon genau der Rum um die Ecke geschnellt, auf den viele Connaisseure da draußen schon ziemlich lange gewartet und den sie sich viele Jahre erhofft hatten! Einzig für den doch sehr präsenten Alkoholgehalt gibt es leichte Abzüge. Wäre der Rum weicher, hätte er die 95er Marke geknackt! Aber ich möchte noch einmal herausstellen, dass wir es hier mit dem meines Wissens ersten unabhängig abgefüllten Rum aus dem Hause Appletons zu tun haben, bzw. einem Rum, der so in dieser Form dem Profil nach sicher großer Teil deren Blends ist. Daher noch einmal: Chapeau nach Bad Bevensen, wo man aktuell eine unfassbar gute Performance hinlegt! Freut mich tierisch, dass ihr so steil geht! So. Und nun habe ich Bock auf einen Mai Tai mit diesem Knaller-Rum und bin mal den Shaker holen... ;-) 

-93/100-

In diesem Sinne, bis dahin! 
Flo


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